Der König von Luxor
zu flackern begannen.
»Für kurze Zeit, etwa auf die Entfernung einer halben Meile, ist das sehr wohl möglich!« behauptete Carter und entfachte damit eine lebhafte Diskussion, an der sich nach und nach die gesamte Gesellschaft beteiligte. Als das Streitgespräch schließlich bei Lord Carnarvon angelangt war, zeigte dieser lebhaftes Interesse an dem Wettstreit, und er erkundigte sich bei seinem Gastgeber, wie denn das Rennen ausgegangen sei.
»Tragisch, mein lieber Carnarvon«, antwortete Lord Amherst. »Der junge Spink hätte sich das Genick brechen können. Er geriet unter Pferd und Wagen und verletzte sich so sehr, daß er sich wohl ein Leben lang hinkend fortbewegen muß. Wie man hört, wird sein rechtes Bein verkrüppelt bleiben.«
Lord Carnarvon zog die Lippen nach unten. »Sehen Sie, Gentlemen«, sagte er nach einer Weile, und dabei blickte er mit erhobenem Haupt in die Runde, »wem es vom Schicksal bestimmt ist, der begegnet dem Tod auf dem Weg zur Kirche, und ein Abenteurer wie ich trotzt ihm unter Seeräubern im Mittelmeer und unter Banditen in Südamerika. Ich konnte nie verstehen, wenn mein Vater sagte, sei vorsichtig, du hast nur das eine Leben. Warum, fragte ich und erntete damit den Unwillen meines Vaters. Ich glaube, daß das Leben eines jeden Menschen in einem großen Buch beschrieben steht. Daher ist es unsinnig, sein Wohl an die Spitze aller Überlegungen zu stellen. Das Leben wird erst angenehm, wenn man die Todesfurcht verloren hat. Glauben Sie mir, Gentlemen.«
Carnarvon prostete mit seinem Glas in die Runde, und Lady Margaret, die der Rede ihres Gegenübers mit Bewunderung gefolgt war, stellte die Frage: »Wenn ich Sie recht verstanden habe, dann hatte dieser Spink überhaupt keine Chance, seinem Schicksal zu entkommen? Es war ihm vorbestimmt, hinkend durchs Leben zu gehen?«
»Ohne Zweifel, ja. Wie wollten Sie sonst den Tod eines Menschen erklären, Mylady? Es gibt Seiltänzer, die fordern ihr Schicksal gleichsam heraus, indem sie Schluchten auf einem dünnen Seil überqueren – sie werden steinalt. Und ein Philosoph, der in seiner Bibliothek den Sinn des Lebens erforscht, fällt von der Bücherleiter und ist tot. Ich frage Sie, Mylady, welcher von beiden hat mit mehr Umsicht gehandelt, der Seiltänzer oder der Philosoph?«
»Der Philosoph vermutlich, weil er kein Risiko einging.«
»Und dennoch hat ihn der Seiltänzer überlebt, der unvernünftig genug war, beinahe jeden Tag sein Leben aufs Spiel zu setzen.«
An der Tafel war es still geworden. Vom offenen Kamin, dessen steinerne Verblendung beinahe die Ausmaße einer Toreinfahrt hatte, vernahm man das Prasseln des Feuers. Am unteren Ende des Tisches hatte Carter das Gespräch mit Interesse verfolgt. Carnarvon war ein kluger Kopf und verstand es vortrefflich, komplizierte Dinge in einfache Worte zu kleiden.
»Mir tut dieser Spink leid«, warf Lord Amherst ein, »obwohl ich nicht verhehle, daß seine ungehobelte Art eher mein Mißfallen fand.«
Lady Margaret fiel ihrem Gemahl ins Wort: »Immerhin hat er ein Mädchen aus einem brennenden Haus gerettet! Eine anerkennenswerte Leistung! Er ist ein Held!«
Da sprang Carter wütend von seinem Stuhl auf und rief: »Das ist nicht wahr! Dieser Spink ist ein gottverdammter Lügner!«
Carters zorniger Zwischenruf hatte ungeahnte Folgen: Über dreißig Augenpaare richteten sich gleichzeitig, als wären sie untereinander mit einem unsichtbaren Mechanismus verbunden, auf Howard Carter. Der trotzte den empörten Blicken mit rotem Kopf und kurzem Atem.
»Aber es stand im Daily Telegraph, Mr. Carter!« bemerkte Lady Margaret ungehalten. »Wenn Spink es nicht war, wer soll das Mädchen dann aus dem brennenden Haus gerettet haben, Mr. Carter?«
»Ich.«
Howards kurze Antwort verursachte bei einem Teil der Gäste Empörung. Vor allem Admiral Wainwright, in dessen Ohren das Wort Held einen besonderen Klang besaß, reagierte verstimmt: »Junger Freund, ich glaube, Sie sind uns eine Erklärung schuldig.«
»Da gibt es nicht viel zu erklären, Mylord«, reagierte Carter keck. Lady Lampson an der Seite des Admirals hob indigniert die Augenbrauen und warf ihm einen strafenden Blick zu. Doch Carter ließ sich nicht einschüchtern und fuhr fort: »Ich habe Jane Hackleton aus dem Feuer geholt. Spink stand an der Türe und hat gewartet, bis ich mit dem bewußtlosen Mädchen auf den Armen zurückkehrte. Er riß mir Jane förmlich aus den Armen und rannte davon. Fragt sich, wer der wahre Held ist – wenn
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