Der König von Luxor
Schlaf mehr finden würde. Allzuviel hatte sich ereignet und lastete schwer auf seiner Seele. Aber wohin ihn seine Gedanken auch trieben, sie kehrten zurück zu Sarah Jones und dem unglückseligen Ende ihrer Beziehung. Nein, er würde nie über diesen Verrat hinwegkommen. In diesem Augenblick tiefer Trostlosigkeit wünschte er eine Mutter herbei, die ihn liebte wie eine Mutter und der er sich anvertrauen konnte; doch die lebte in London und hatte genug mit sich selbst zu tun. Wann, überlegte Howard, hatte er sie zuletzt gesehen? Es fiel ihm nicht ein, und er wollte es auch gar nicht wissen.
Zielsicher tastete Carter nach den Streichhölzern und entzündete die Lampe. Dann nahm er ein Zeichenpapier, faltete es in ein gefälliges Format, setzte sich an den kleinen ovalen Tisch in der Mitte des Raumes, tauchte den Federhalter in das bauchige Tintenglas und begann zu schreiben:
»Miss Jones, meine Geliebte!« – Er empfand die Anrede albern, zerknüllte das Papier und legte es beiseite.
»Geliebte Miss Jones!« – Die Anrede klang besser; aber je öfter er sie im stillen wiederholte, desto unpassender erschien sie ihm.
Howard befand sich in einer ausweglosen Situation. Er hatte Sarah noch nie bei ihrem Vornamen genannt. Ob aus Respekt oder weil er sie anbetete – er kannte den Grund selbst nicht. Er hatte es einfach nicht fertiggebracht. Nun fand auch diese Anrede sein Mißfallen.
Schließlich nahm er ein drittes Blatt und schrieb schnell, damit er es sich nicht noch einmal überlegte: »Meine geliebte Sarah!«
Diese Anrede erfüllte ihn beinahe mit Stolz, und er las sie immer wieder, bis er endlich zu schreiben begann:
»Ich wünschte, ich wäre ein paar Jahre älter, dann fielen mir diese Zeilen leichter, ja vielleicht wären sie dann nicht einmal nötig. Es sind zwei Dinge, die mich bewegen und die ich Ihnen nahebringen muß, und ich bitte Sie inständig, daraus Ihre Schlüsse zu ziehen.
Jetzt muß ich befürchten, daß sich zu den Dummheiten, die ich in den letzten Wochen begangen habe, eine weitere dazugesellt. Heute betrat unerwartet und entgegen jeder Gewohnheit Lord Amherst mein Zimmer, das ich wie das übrige Personal von Didlington Hall im obersten Stockwerk bewohne, und betrachtete lange das Bild der Aphrodite, welches für uns beide so große Bedeutung erlangt hat. Noch heute spüre ich die Ohrfeige auf meiner Wange, die mich wenige Augenblicke später in höchste Verzückung versetzen sollte und die mir erlaubte, Ihr Liebhaber zu werden. Sie hatten etwas an sich, das mir bis dahin unbekannt war und mich in Raserei versetzte, ja jede Vernunft ausschaltete, die mir, trotz meiner jungen Jahre, mehr zu eigen ist als anderen Jungen meines Alters. Aber ich schweife ab.
Ich weiß nicht, ob Lord Amherst die Statue erkannt hat, die mir als Vorbild für meine Zeichnung diente, aber ich muß damit rechnen, denn er hielt sich lange und schweigend davor auf. Es ist schwer vorstellbar, daß ein Mann von solcher Klugheit das Aussehen einer Statue vergißt, die ihm entwendet wurde, auch wenn der Fall lange zurückliegt. Deshalb bitte ich Sie inständig, geben Sie ihm die Statue zurück. Es ist der einzige Ausweg, wollen Sie sich nicht noch mehr in widrige Umstände verstricken.
Was unser Verhältnis betrifft, bitte ich Sie, dieses als beendet zu betrachten. Sie ersparen sich damit viel Ärger und mir manche Demütigung. So können Sie Ihre Zeit bedenkenlos Mr. Chambers widmen, der zumindest an Jahren besser zu Ihnen paßt als ein dummer Junge wie ich. Ich will mir nichts vormachen, wer bin ich denn schon? Ein Zeichner von minderer Bedeutung und Begabung, dessen Hoffnungen sich vielleicht einmal erfüllen mögen, vielleicht auch nicht. Die einzige Sicherheit, die ich Ihnen hätte bieten können, wäre die Tatsache gewesen, daß auch ich einmal älter werde – so alt, daß ich für Sie ein ernstzunehmender Liebhaber wäre. Aber glauben Sie mir, meine Liebe zu Ihnen war trotz meiner Jugend tief und innig und hat mich mit unendlicher Wonne erfüllt, wie sie in reiferen Jahren nicht stärker sein kann. Das ist vorbei. Ich liebe Sie nicht mehr.
Immerhin hat meine Liebe zu Ihnen in meiner Seele die schönsten Spuren hinterlassen. Ich bereue nichts von dem, was geschehen ist, denn es geschah aus tiefsten Regungen und Gefühlen, auch wenn es mit großer Ungeschicklichkeit verbunden gewesen sein mag. Es bleibt mir in Erinnerung – ein Leben lang.
Gut hat es, wer niemanden liebt. Die Vorstellung, daß Sie mit einem
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