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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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abzuwarten, sagte er: »Mylord, es lag mir fern, Sie vor Ihren Gästen zu brüskieren. Aber was ich sagte, entspricht der Wahrheit. Ich war es, der das Mädchen aus dem Haus geholt hat, nicht Spink. Tut mir leid, daß ich mich so vergessen habe. Ich packe morgen meine Sachen und verschwinde von Didlington Hall.«
    Lord Amherst musterte Carter mit prüfendem Blick. Er hielt seine Hände auf dem Rücken verschränkt. Schließlich meinte er ruhig: »Das werden Sie nicht tun, Mr. Carter. Ich schätze Ihre Begabung, und Ihr Verlust würde mich zuallererst treffen. Deshalb ersuche ich Sie zu bleiben. Ich meine, unsere Zusammenarbeit hat doch gerade erst angefangen. Und was die leidige Angelegenheit mit Spink betrifft…«
    »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Mylord«, unterbrach Carter Lord Amherst, »und ich will Ihren Wunsch gerne respektieren, aber ich bitte Sie, mich ein paar Tage zu entbehren. Ich verspreche, den Ausfall an Zeit wieder einzuarbeiten.«
    Amherst legte seine Stirn in Falten, und Howard mußte befürchten, daß er seine Bitte zur unpassenden Zeit vorgebracht hatte; aber unerwartet antwortete der Lord: »In Ordnung, Mr. Carter; doch mich würde interessieren, wozu Sie die Tage nutzen wollen.«
    Da holte Howard Carter tief Luft, als wollte er sich eine schwere Belastung von der Seele reden, und er sagte: »Mylord, die leidige Angelegenheit mit Spink – wie Sie sich ausgedrückt haben – ist eine große Belastung für mich. Mag sein, daß Sie mich nicht verstehen, aber ich kann schwer ertragen, in den Augen anderer Menschen als Prahler oder Lügner dazustehen. Deshalb möchte ich mich auf die Suche nach Zeugen machen, die meine Version des Ereignisses bestätigen.«
    Carters Hartnäckigkeit forderte dem Lord Respekt ab. Er schätzte unbeirrbare Charaktere, und die Beharrlichkeit, mit der Howard vorging, war beinahe schon der Beweis dafür, daß er die Wahrheit sprach.
    Es war spät geworden, und Lord Amherst reichte Carter die Hand, da fiel sein Blick auf eine Zeichnung an der Wand über dem Waschtisch, und ihm entfuhr ein staunendes: »Oh! Ein eigenes Werk?«
    Carter erschrak. Er konnte doch nicht ahnen, daß der Lord sein Zimmer unter dem Dach jemals betreten würde. Aber nun stand er dem Bild der Aphrodite- Statuemit den Gesichtszügen Sarah Jones’ gegenüber und konnte sich nicht sattsehen. Jedenfalls hatte Howard den Eindruck. Er mußte damit rechnen, daß Amherst die Haltung bekannt vorkam. Am liebsten hätte er das Licht seiner Petroleumlampe abgedreht.
    In seiner Aufregung vergaß Carter, Amhersts Frage zu beantworten, was den Lord wiederum dazu bewog, seine Frage als Unhöflichkeit zu bewerten – schließlich hängen Künstler ausschließlich eigene Bilder an ihre Wände – und vorsichtig nachzufragen: »Mich würde interessieren, Mr. Carter, ist dieses Bild aus der Phantasie entstanden, oder gibt es ein lebendes Vorbild dieser Schönheit?«
    Amhersts Neugierde, die vielleicht gar keine Neugierde, sondern bereits ein erstes Verhör war, versetzte Howard in große Unruhe. Er fühlte, daß sein Herz bis zum Hals schlug, und hatte sich gerade zu der Antwort durchgerungen, die Zeichnung sei ein Produkt endpubertärer Phantasie, da kam ihm der Lord zuvor, indem er sagte: »Sie tun gut daran, diese Frage nicht zu beantworten. Das ist das gute Recht eines Künstlers. Gute Nacht!«
    Nachdem Lord Amherst gegangen war, zog Howard den geborgten Cutaway aus und hängte ihn über die Lehne des Stuhls, der unter dem halbgeöffneten Fenster stand. Über den Wiesen um Didlington Hall sammelten sich die ersten Nebelschwaden und kündeten den Herbst an. Eben war ihm noch warm gewesen, jetzt fröstelte ihn, als er das Licht löschte und unter seine Decke kroch.
    Howard schloß die Augen; aber anstatt in Bewußtlosigkeit zu versinken, bemächtigte sich ein wilder Taumel seines Gehirns. Aus der Ferne drangen Klagelaute eines Käuzchens, und Howard öffnete die Augen und betrachtete die niedrige Decke seines Zimmers, auf der sich fahle Spuren von Licht abzeichneten. So starrte er lange Zeit ins Leere, bis er sich endlich erhob und aus dem Fenster blickte auf die schwarzen Umrisse der Bäume und die Mauern um Didlington Hall, welche geheimnisvolle Linien in die Dunkelheit zeichneten. Der Morgen schien nicht fern, denn von den umliegenden Gewässern, deren Oberfläche einem blinden, verstaubten Spiegel glich, drang vereinzelt stotterndes Krötengeschrei.
    Ihm war bewußt, daß er in dieser Nacht keinen

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