Der Koenig von Rom
Kleinigkeit abwerfen. Aber das reichte noch immer nicht. Sogar eine Ameise, die den Vorrat für den Winter anlegte, konnte das nicht schaffen. Das hier war etwas Großes. Er musste sich was einfallen lassen. Giada war vielleicht eine gute Quelle. Sie musste ihn ihren Freunden vorstellen.
Aber nicht nur aus Gründen der Geldbeschaffung ging er zwei Tage später wieder zu ihr.
Er wollte herausfinden, ob sie nur deshalb so nett zu ihm gewesen war, weil er so viel guten Stoff geliefert hatte. Joints, hatte sie ihm erklärt, erweiterten das Bewusstsein beziehungsweise ließen die Realität in einem anderen Licht erschienen, verfeinerten die Wahrnehmungen, gestatteten dir, Innenwelten zu entdecken, von deren Existenz du keine Ahnung hattest. Libano war selten und ungern zugedröhnt, und wenn, war es schnell vorbei. Hat man je einen zugedröhnten König gesehen? In Wirklichkeit fürchtete er, die Kontrolle zu verlieren. War das eine Grenze, eine Angst, die er überwinden musste?
Es war zwei Uhr nachts, der Wind schnitt ihm ins Gesicht, schärfer als ’ne Messerklinge. Hin und wieder der Umriss eines Kleinwagens auf dem Lungotevere. Am Himmel leuchteten die Sterne.
Mit dem Messer öffnete er ein Schloss, das lächerlich wenig Widerstand bot, und ging zu Fuß ins oberste Stockwerk hinauf, so als wollte er den Augenblick der Begegnung hinauszögern. Libanese war kein sentimentaler Mensch. Dennoch hatte er Herzklopfen. Wie vor jeder Tat. Aber was war eigentlich los?
Er hatte Lust auf Musik, einen Rausch, einen duftenden Körper.
Er scheute sich jedoch es zuzugeben.
Aus Giadas Wohnung drangen schwache Laute. Er klopfte. Einmal, zweimal, dreimal. Zuerst zurückhaltend, dann immer heftiger, schließlich hartnäckig und letzten Endes wütend. Endlich machte Sandro auf, so zugedröhnt, dass seine Augen blutunterlaufen waren. Er trug einen selbstgestrickten, weißen Pullover mit Zopfmuster. Die Musik war ein unverständliches Chaos, eine monotone Abfolge von dumpfen Akkorden. In der Luft hing abgestandener Shitrauch, in dem etwas Süßliches und Ekelerregendes lag. Libanese war drauf und dran, den Rückzug anzutreten. Der Junge hüstelte, als ob er ihm etwas sagen wollte, aber weder die Kraft noch die Geistesgegenwart dazu besäße.
– Was zum Teufel ist hier los?
– Giada, flüsterte er schließlich, ich glaube … es geht ihr nicht gut … ich glaube … zu viel Shit …
Libanese schob ihn zur Seite und betrat die Wohnung. Giada lag auf einem Sofa. Sie trug eine himmelblaue Kittelbluse. Als Libanese sich über sie beugte, hörte er leises Röcheln. Er blickte sich um. Das Fläschchen mit dem Haschischöl war halb leer. Mit der Hand fegte er einen Aschenbecher vom Tisch, der randvoll mit Jointstummeln war.
– Wie viel habt ihr geraucht, ihr Idioten?
Sandro zuckte mit den Achseln, dann begann er schrill zu lachen.
Libanese gab ihm zwei Ohrfeigen. Der Junge hörte auf zu lachen. Libanese verpasste ihm noch einen leichten Faustschlag, dann ließ er ihn in Ruhe. Er riss die Fenster auf. Er nahm die Schallplatte vom Plattenspieler und zerbrach sie. Dann beugte er sich wieder über Giada. Er rüttelte sie, versuchte sie aufzuwecken. Nichts.
Er erinnerte sich an seinen ersten Rausch. Dreizehn war er gewesen. Auch diesmal war Dandi dabei. In einem Supermarkt in Porta Furba hatten sie eine billige Flasche Whisky gestohlen und sie bei Libanese zu Hause ausgetrunken. Wenn seine Mutter nicht rechtzeitig gekommen wäre, hätten sie das Zeitliche gesegnet. Sie hatte sie gezwungen, ein halbes Glas Öl zu schlucken. Eine grausame Kur. Sie hatten sich die Seele aus dem Leib gekotzt. Am nächsten Morgen standen sie vor der Schule, geschnäuzt und gekämmt, bloß ein bisschen blass. Signora Pina hatte gewartet, bis sie beim Klingeln das düstere Gebäude betraten. Natürlich waren sie fünf Minuten später wieder abgehauen. Aber das hatte seine Mutter nie erfahren. Seit damals war er niemals, aber wirklich niemals mehr besoffen gewesen. Vielleicht funktionierte es auch beim Shit. Er musste es ausprobieren: Öl heilt man mit Öl, oder?
Er flößte Giada zwei Löffel davon ein, lud sie auf seine Schulter und trug sie ins Bad. Er zog ihr die Bluse aus, betrachtete mit väterlichem Lächeln den zarten schwarzen Flaum (auch wenn es nicht schiefgeht, du wirst doch kein guter Samariter werden, Libano?), dann drehte er die Dusche an und setzte sich gemeinsam mit ihr unter den eiskalten Strahl. Erst als sie zu würgen begann, war er sich
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