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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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zittrigen Fingern nach dem weißen Bettlaken, welches er noch aus Rimas Schrank, in dem sie seit Jahren ihre Hochzeitswäsche aufbewahrte, hatte nehmen können, knotete es sich um den Hals und warf den Rest wie eine Schleppe über den Schlitten. Auf diese Weise etwas getarnt, marschierte er, als gäbe es keine Verfolger. Mehr und mehr dämmerte es, die Sicht betrug höchstens noch 50 Meter. Plötzlich war der Hubschrauber dicht vor ihm. Gegen den Wind angeflogen, hatte er ihn erst später registriert. Alexander ließ sich gleich neben das Gerippe eines verkrüppelten Baumes zu Boden fallen, zog den Schlitten näher und versteckte sich unter dem Laken. Der Hubschrauber sauste über ihn hinweg, hell klang das Pfeifen der Gasturbine. Und dann drehte er, kam wieder näher. Aber der Pilot schien unschlüssig zu sein, denn er kreiste am Himmel, ohne sich zur Landung entscheiden zu können. War es schon zu dunkel? Tarnte ihn Rimas Hochzeitslaken? Warum flammte kein Scheinwerfer auf, der den Boden absuchte, fragte sich Alexander. Dann haben sie mich in zwei Minuten.
    In diesem Augenblick konnte er nicht ahnen, dass ihm die sowjetische Mangelwirtschaft eine Schontrist gewährte. Der Suchscheinwerfer funktionierte nicht, es fehlte am Nachschub von speziellen Birnen. Aber was Alexander wenig später aus dem gleichmäßigen Zwitschern des Rotors heraushören konnte: Der Hubschrauber war nicht weit von ihm entfernt gelandet. Im letzten Tageslicht hatte man also doch noch seine Spuren im Schnee entdeckt. Alexander sprang auf und hastete weiter. Er vermutete, dass seine Verfolger keine Ski hatten, obwohl ihm die geringe Schneehöhe kaum einen Vorteil verschaffte Außerdem waren die Häscher ausgeruhter.
    Alexander wusste nicht, welche Richtung er einschlug. Bloß weg von dem Hubschrauber, sagte er sich, verlor nach wenigen Minuten jedes Gefühl und hatte keine Ahnung, wie lange er schon durch die beginnende Nacht gehetzt war. Blickte er über die Schulter, dann bemerkte er in einiger Entfernung auf und ab tanzende Lichtpunkte: Taschenlampen. Der Abstand war schwer zu schätzen. 300 Meter vielleicht? Aber sehen konnten ihn seine Verfolger nicht, sonst hätten sie längst auf ihn geschossen.
    Alexander stolperte, rutschte, das Gelände wurde abschüssig. Als es wieder eben verlief, durchzuckte ihn der nächste Schreck: Er befand sich auf einem zugefrorenen Fluss. Handelte es sich um einen kleinen, unbedeutenden, dann war das nicht so schlimm. Aber um den Jenissei zu Überqueren, war es noch zu früh im Jahr. Erst Mitte Oktober konnte man sicher sein, also in gut zwei Wochen.
    Alexander blieb keine Zeit zum Überlegen. Für ihn gab es keine Alternative, als geradeaus zu stapfen, bis zum ... anderen Ufer. Nach wenigen Minuten ahnte er, es konnte nur der Jenissei sein, der an dieser Stelle mindestens fünf Kilometer breit war und in der Mitte, wenn überhaupt, lediglich eine dünne Eisschicht hatte, gerade so dick, den Schnee zu tragen und die Gefahr zu tarnen.
    Nach weiteren fünf oder zehn Minuten kam es ihm vor, als habe der Untergrund sich verändert, als schwanke er. Und auch das Schaben des Schnees, den er mit seinen Ski durchpflügte, klang anders.
    Nicht darauf achten, nur weiter. Ein Blick zurück, die Lichtpunkte folgten ihm noch immer. Täuschte er sich oder war die Entfernung wirklich größer geworden?
    Alexander orientierte sich verbissen nach vorn. Jetzt vernahm er ganz klar ein feines Knistern. Das Eis. Keine hektischen Bewegungen, immer gleiten, die Ski möglichst gleichmäßig belasten und nicht zu abrupt abstoßen, gab er sich das Kommando. Und kontrolliert den Stock einsetzen. Dadurch wurde er zwar langsamer, aber das Risiko schien ihm geringer zu sein.
    Das Knistern nahm zu, die Schwingungen des Untergrunds auch. Plötzlich ein gedämpfter Knall, nicht lauter als eine ins Schloss fallende Tür. Seitlich, in zwei, oder drei Meter Abstand, registrierte er im grauen Untergrund eine dunklere, gezackt hin und her springende Linie. Das Eis war aufgerissen, Wasser drückte sich durch Alexanders Gewicht nach oben.
    Vorsichtig schwenkte Alexander etwas flussaufwärts, weg von der Bruchstelle. Aber dieses dumpfe Knallen hörte er erneut und dann schon wieder. Beim letzten Mal meinte er zu fühlen, wie das Wasser seine Füße umschwappte. Er wagte nicht, nach unten zu schauen und war dankbar für die langen Ski. Keine schmalen, wie die Rentierzüchter sie trugen, sondern breite, welche zum Wandern, mit denen man nicht so tief

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