Der König von Sibirien (German Edition)
die Vorsehung nicht weiter zu strapazieren.«
Die ersten Tage ging es auch wirklich gut. Ruhe kehrte im Lager ein, wie nach einem Unwetter, das sich gelegt und die Luft gereinigt hatte. Die Männer waren zufrieden, die Versorgung verbesserte sich, und Pagodin ergab sich unerwartet kooperativ. So hätte es bleiben können.
Zu essen gab es einmal sogar etwas Fleischähnliches, dann eine dicke Erbsensuppe und zwischendurch den bekannten Mischmasch aus Kohl und Kartoffeln, aber alles etwas reichhaltiger und schmackhafter als sonst. Der Elefant – oder war es Alexander? – konnte wirklich Dinge bewegen.
Am Ende der Woche passte Klimkow, der Elefant, Alexander ab und zog ihn auf die Seite. »Kennst du das hier? Stoff aus Wolkows Hose.« Klimkow reichte Alexander das handtellergroße Stück. Genau in der Mitte war ein ausgefranstes Loch.
Mit gerunzelter Stirn sah Alexander den Blatnoij an. »Was soll das?«
Klimkow lächelte. »Das Loch hier hat die Druckluft gerissen.«
»Na und? Was habe ich damit zu tun?«
Der Elefant griff in seine Tasche und zog eine aufgewickelte Schnur hervor. »Der dritte Mann.«
»Moment mal, jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
Klimkow kratze sich den Bart. »Pagodin denkt, es müssen drei gewesen sein, die Wolkow ins Land der glorreichen revolutionäre befördert haben.«
»Und wieso stimmt das nicht?«
»Mein Freund, ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Es waren höchstens zwei, wenn überhaupt.«
»Das musst du mir erklären.« Alexander setzte sich auf die Stufen zum Waschraum, wo vor etlichen Wochen alles begonnen hatte.
»Ich habe mir draußen die Örtlichkeiten genau angesehen, und ich habe ein kleines Experiment gemacht. Willst du wissen, wie es ausgegangen ist?«
»Dafür bist du doch gekommen. Ich sehe' dir doch dein Mitteilungsbedürfnis an.«
Klimkow grinste. »Einer meiner Männer hat den Kompressor eingeschaltet, während ich überhaupt nicht zu sehen war. Ich stand im Graben, genauso wie du ...«
»Moment mal, keine Unterstellungen.«
»Genau wie Wolkows Vorsehung«, scherzte Klimkow. »Und in der Hand hatte ich diese Schnur. Sie war am Kompressor an dem Hebel befestigt, den du umlegen musst, damit die Luft in den Schlauch gedrückt wird. Bis hierhin alles verstanden?«
»Natürlich.«
»Also: Das Gerät wird angeworfen, ich habe den Schlauch und die Schnur in der einen Hand, umfasse Wolkow, der außerhalb des Grabens steht, mit der anderen und reiße ihn zu mir. Und genau in diesem Augenblick drücke ich ihm, wenn er nach hinten taumelt, den Schlauch gegen den Arsch. Gleichzeitig zerre ich an der Schnur, bewege dadurch den Hebel, und die Luft marschiert geradewegs bis in Wolkows schwarze Seele. Na, was sagst du nun?«
Alexander schüttelte den Kopf. »Kleine Märchenstunde, was?«
»Bestimmt nicht. Einer meiner Männer hat dich beobachtet, wie du eine Schnur aufgewickelt hast.«
Alexander gelangweilt: »Kann mich nicht mehr erinnern. Außerdem«, er deutete auf die Schnur, »brauchen wir die immer, um die Flucht für einen Graben oder eine Mauer auszurichten. Das dürfte dir doch bekannt sein.«
Klimkow entgegnete mit Spott in der Stimme, ohne auf Alexanders Einwand zu reagieren: »Und letztlich hat sich Wolkow selbst umgebracht, denn er setzte sich auf den Schlauch wie aufs Klo. Was hundert Atmosphären Druck nicht alles anrichten können! Und dabei handelt es sich bloß um Luft, nichts als Luft.«
Klimkow fischte ein zweites Stück Stoff mit einem ähnlichen Loch in der Mitte wie beim ersten aus seiner Tasche und breitete es auf der unteren Stufe aus. »Hier, das Ergebnis meines kleinen Experiments. Kein Unterschied zu Wolkows Hose, nicht? Die Fäden reißen bei dem Druck wie Spinnengewebe.«
Alexander stand auf und betrachtete den Bärtigen. »Klimkow, muss ich mir das alles noch länger anhören, he?«
Der stattliche Mann schmunzelte, seine Augen funkelten. »Lernt man als Ingenieur für Bergbau nicht auch den Umgang mit Kompressoren?«
Anfang August rollte eine schwarze Limousine mit vier ernst dreinblickenden Männern in Zivil vor das Verwaltungsgebäude. Kurz darauf wurde Alexander von zwei Wachposten abgeholt und in Pagodins Büro geführt. Noch bevor er etwas sagen konnte, schlugen ihn zwei der Männer brutal zusammen. Alexander registrierte ohne große Aufregung, dass seine Nase gebrochen war.
»Auf die Beine, Häftling 196 F«, schnarrte Pagodin, der Kompetenz beweisen wollte.
Mühsam rappelte sich Alexander hoch und stand schief
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