Der König von Sibirien (German Edition)
Gesetze, keinen Schutz, nichts. Er selbst sei von vier Blatnoij vergewaltigt worden. Alexander zeigte die Vernarbung an seiner rechten Hand und verwies darauf, wie die Wunde zustande gekommen sei. Gegenüber der Lagerleitung habe er einen Text unterschreiben müssen, in dem er zugab, schwul zu sein und die Männer angemacht zu haben. So löse man elegant alle Schwierigkeiten, um es sich ja nicht mit Moskau zu verderben.
Nach einer Stunde liefen die letzten Szenen des Films und zeigten bei einem Schwenk das alte Lager. Wird man wohl heimlich aufgenommen haben, vermutete Alexander, als er die unscharfen und wackeligen Bilder sah. Abschließend war der Kommentator zu hören, der meinte, dass dieser Inhaftierte sein Todesurteil unterschrieben habe, falls die offiziellen Organe Kenntnis von diesem Film erlangten. Immer noch werde in der Sowjetunion die Meinung unterdrückt, erst recht die eines zu Zwangsarbeit Verurteilten. Zehn Jahre habe er bekommen, wegen angeblichen Devisenvergehens. Man werde sich an die UNO wenden, so der Sprecher weiter, damit die Weltorganisation sich des Strafgefangenen annehme.
Der Film war zu Ende, die leere Spule lief und lief, keiner stellte den Projektor ab. Schweigen, wohl einige Minuten. Ansatzlos ein heulender Aufschrei von Pagodin, der sich auf Alexander stürzen wollte. Ein Mitarbeiter des KGB hielt ihn zurück, ein anderer schaltete endlich den Projektor aus.
Der Oberst stand auf und machte Licht.
Dass sie ihn noch nicht an die Wand gestellt hatten, überraschte Alexander, der hoffte, Hellen möge den Brief erhalten haben.
In den nächsten Tagen unterzogen ihn die vier KGB-Agenten einem äußerst harten Verhör, exakt eine Woche dauerte es. Immer wieder schlugen sie auf ihn ein, aber nicht mehr ins Gesicht, sondern nur noch auf den Körper, und zwar mit stoffumwickelten Knüppeln. Pausenlos bombardierten sie ihn mit Fragen, dann mit der Aufforderung, er solle seine Aussage widerrufen.
Aber Alexander schüttelte Mal um Mal den Kopf. War es Sturheit, mangelnde Einsicht oder die Wut über seinen Zustand, er wusste es nicht. Weil er nicht nachgab und sich vor sich selbst bewies, fühlte er sich stark. Jeder Schlag auf seinen Körper ließ seine Kraft wachsen.
Irgendwie hatte er zwischendurch das Gefühl, dass sich eine ungeahnte Entwicklung anbahnte. Deshalb, so redete er sich ein, müsse er unter allen Umständen bei seiner Darstellung bleiben. Ob der abschließende Kommentar ihm vielleicht half, sein Leben zu retten? Die UNO wirklich bei der Sowjetunion intervenierte? Das Ausland an seinem weiteren Schicksal interessiert war? Genauso formulierte es einer der Agenten gegenüber Pagodin, der von der Schuld, dieses Interview nicht verhindert zu haben, gezeichnet schien.
Sein Gesicht war eingefallen und eine Maske. Aber was möglicherweise Alexander rettete, rettete auch Pagodin, denn er war im Film zu deutlich zu sehen gewesen.
Der Oberst, unzufrieden mit dem Verlauf des Verhörs, gab zweien seiner Leute ein Zeichen. Die Männer schleppten den angeschlagenen Alexander in den Nebenraum. Unbeschreibliche Leibschmerzen quälten ihn, vor zwei Tagen hatte er erschrocken Blut im Urin entdeckt. Während einer an der Tür stehen blieb und der andere zum Fenster hinausschaute, lehnte sich Alexinder mit dem Kopf an die Trennwand zum Nachbarzimmer. Gedämpft konnte er jedes Wort verstehen.
»Der Vorfall schlägt hohe Wellen, mein lieber Pagodin. Der Sekretär des Zentralkomitees hat dem Roten Kreuz zugesagt, zu jeder Zeit könne es weitere Aufnahmen im Lager 60/61 machen.«
Pagodin verstand offenbar nicht sofort. »Warum? Wieso wird er nicht erschossen?« Unschwer konnte Alexander erraten, wer gemeint war.
»Weil wir Sie dann auch erschießen müssten, Genosse.«
»Mich? Wieso. .« Und dann schien es Pagodin zu dämmern. Alexander vermeinte geradezu sehen zu können, wie das Blut aus Pagodins Gesicht wich und die hohen Wangenknochen sich noch deutlicher abzeichneten als gewöhnlich.
»Schon in einigen Wochen will das Rote Kreuz das Angebot annehmen und Gautulin erneut filmen, irgendwann im Herbst oder so. Deshalb muss das verräterische Schwein am Leben bleiben. Aber er wird aus dem Lager verschwinden.«
»Weshalb?«
»Die fallen auf den Trick mit den neuen Baracken nicht mehr herein«, verdeutlichte es der Oberst. »Sie haben doch die Bilder gesehen. Der Kameramann hat heimlich das richtige Lager gefilmt. Und Sie, Genosse, konnten es nicht verhindern.«
Pagodin schwieg. Was hätte er
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