Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
ein stählender Blick traf sie. Ein Hauch von Bitternis lag in den Augen über der markanten Adlernase.
„Geben Sie mir noch Wodka dazu“, verlangte er. „Russischen.“
Sie zwang sich zu einem Lächeln. Er sah eigentlich gar nicht aus wie ein Alkoholiker, dachte sie, während sie ein Wodkafläschchen aus dem Trolley nahm und neben das Rotweinglas auf den Klapptisch stellte. „Bitte.“
Er drehte den Verschluss auf und schüttete den Wodka in den Rotwein. Ruhig schwenkte er das Glas, bevor er das Wein-Wodka-Gemisch in einem Zug austrank. Froh, sich von dem seltsamen Reisenden entfernen zu können, wandte sie sich dem nächsten Passagier zu.
Thalberg nahm seine Aktentasche unter dem Sitz hervor und zog die dreißig gehefteten Seiten heraus. Auf den leicht gelblichen Blättern reihten sich unverständliche Buchstaben und Zahlenkolonnen endlos aneinander – unverkennbar ein alter Wehrmachtscode. Was hatte Fritz da bloß zusammengeschrieben? Thalberg seufzte. Falkenhayn hatte an unzähligen Geheimoperationen teilgenommen, da war es unmöglich zu sagen, um was für ein Dossier es sich handelte. Allerdings musste es für ihn eine besondere Bedeutung gehabt haben, sonst hätte er es nicht in seinem Safe deponiert. Thalberg beschlich eine dunkle Vorahnung.
Er schloss die Augen und lehnte sich in den Sitz zurück. Vergeblich wartete er auf die beruhigende Wirkung des Alkohols, stattdessen spukte in schmerzhafter Klarheit ein wild gewordener Gedanke durch seinen Kopf.
Fritz ist tot. Nur du bist noch übrig. Du bist der Letzte, der das Geheimnis kennt.
Er massierte seinen verkrampften Nacken und neigte den Kopf von einer Seite zur anderen. Nur du bist noch übrig.
Er gab der Stewardess ein unmissverständliches Zeichen, dass er umgehend sein leeres Glas gefüllt sehen wollte. Sie zeigte ihm ein professionelles Lächeln und warf ihm zugleich einen kurzen skeptischen Blick zu, der die Aufsässigkeit verriet, die ihm bei jungen Frauen immer häufiger auffiel. Nachdem sie den Wein nachgeschenkt und wortlos ein zweites Wodkafläschchen auf den Tisch gestellt hatte, wanderten Thalbergs Gedanken zu seinem Treffen mit Falkenhayn zurück.
Schon bei der Begrüßung hatte er die Schuld in den Augen des anderen erkannt und gewusst, dass seine spontane Reise in die Alpen keine Zeitverschwendung gewesen war. Falkenhayn war der Einzige, der nie auf der Liste der Verdächtigen gestanden hatte – aber dennoch waren irgendwann die Zweifel gekommen. Zweifel, die er ausräumen wollte und die nach nur einem Blick zur Gewissheit wurden. Oder hatte er es schon die ganze Zeit gewusst? Warum hatte er sonst die Einbruchswerkzeuge in den Mercedes packen lassen – und sogar einen der beiden Profi-Killer mitgenommen? Grübelnd schüttete er den Wodka in den Wein und ließ die Flüssigkeit im Glas kreisen.
Abermals rekapitulierte Thalberg die letzten Stunden. Unbemerkt war er durch die angelehnte Tür in das Chalet eingedrungen und hatte Fritz auf der oberen Etage gehört. Leise war er die Wendeltreppe emporgestiegen. Falkenhayn hatte sich stehend über seinen Schreibtisch gebeugt, und er war lautlos an ihn herangetreten.
„Setz dich, Fritz“, sagte Thalberg, und Falkenhayn fuhr erschrocken herum.
„Carl! Was willst du hier?“ Ein Paar rot unterlaufender Augen schaute ihn starr an, und Thalberg fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen.
„Mit dir sprechen. Setz dich!“ Er schob einen Stuhl zu ihm herüber, und Falkenhayn nahm Platz. Er ließ Thalberg dabei nicht aus den Augen. „Brauchst du meine Hilfe bei der Berlin-Sache?“
Thalberg spürte, dass Fritz die Frage so beiläufig wie möglich gestellt hatte. Fast, als ob es nur um eine alltägliche Gefälligkeit ginge, aber in Wirklichkeit hatte er damit das entscheidende Thema angeschnitten. Schweigend wandte Thalberg sich den vielen Fotos an den Wänden zu. Er ließ sich Zeit, betrachtete jedes Foto eingehend, und schließlich fiel sein Blick auf das Gruppenbild. Ein paar Offiziere, kaum mehr als ein Bataillonszug – aber von Stalin persönlich gefürchtet. Der General in der vordersten Reihe auf dem zentralen Platz erwiderte Thalbergs Blick, stechend und fordernd wie vor über sechzig Jahren.
„Carl?“
Thalberg hatte Fritz bei seinen Betrachtungen fast vergessen. „Ja, es geht um Berlin. Deshalb bin ich hier.“
„Du glaubst also noch immer, dass es einen Maulwurf in unseren Reihen gibt?“, sagte Falkenhayn leichthin. „Ich bin zwar hier oben in den Bergen schon ein
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