Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
hatte diese Fähigkeit ihm sehr geholfen, als er sich zahllose Gerichtsurteile und Rechtsmeinungen hatte einprägen müssen. Auch diesmal ließ ihn seine besondere Erinnerungsfähigkeit nicht im Stich. Vor seinem inneren Auge entstand das Gruppenbild aufs Neue. Offensichtlich gehörten die Männer dem Heer an, dessen feldgraue Uniformen sie trugen. Rang und Alter waren vollkommen unterschiedlich. Jüngere und ältere Offiziere standen ohne erkennbare Hierarchie und Ordnung nebeneinander. Keiner trug eine Waffe oder Munition am Körper. Auch Mützen oder Stahlhelme fehlten. Dass es sich hier nicht um gewöhnliche Soldaten handelte, war offenkundig. Doch was war das für eine Einheit?
Und dann sah er es – genau in dem Moment, als jemand von außen an die Tür des Jaguars klopfte.
Er schreckte auf und schaute geradewegs in Zoés lachendes Gesicht. Sie stand mit einer riesigen Papiertüte, gefüllt mit Croissants, und einer gefalteten Zeitung neben ihm. „Ich dachte schon, du wärst eingeschlafen.“
Entgeistert sah er zu ihr hoch. „Die haben Streifen auf den Hosen!“
„Bitte?“
„Erinnerst du dich an das Gruppenbild, das in Falkenhayns Arbeitszimmer hing?“
„Ja, ich habe es mir zwar nicht so genau angeschaut, aber ich weiß, welches Foto du meinst.“
„Die abgebildeten Offiziere haben Streifen auf den Hosen.“
„Hosenstreifen?“ Ihr Blick zeigte Unverständnis.
„Ja“, sagte Parker. „Das Bild bei Falkenhayn war schwarzweiß. Die Streifen sind in Wirklichkeit rot.“
„Schick“, sagte Zoé und zog ein Croissant aus der Tüte. „Magst du auch?“ Sie lächelte ihn an. „Nun sag schon, was es damit auf sich hat!“
Parker konnte kaum fassen, dass ihm dieses Detail bisher entgangen war. „Rote Streifen waren bei der Wehrmacht keine Mode, sondern eine besondere Auszeichnung.“
„Und für was?“
„Nur Angehörige des Generalstabs waren berechtigt, solche Streifen auf ihren Hosen zu tragen.“
„Sieh an, sieh an.“ Zoés riss ein Stück von dem Hörnchen ab. „Also waren es Generalstabsoffiziere, die das Bernsteinzimmer geraubt haben.“
Parker nickte. „Das Problem ist nur, dass es damals nicht gerade wenige Offiziere im Generalstab gab. Die Wehrmacht hatte einen zentralen Führungsstab, aber auch die einzelnen Waffengattungen verfügten natürlich über ihre Stäbe. Und alle planten und führten den gleichen Krieg.“ Er hatte sich im Zuge seiner Beutekunstforschungen zwangsläufig mit den militärischen und politischen Führungsstrukturen des Nazi-Staates auseinandergesetzt. Mit Erstaunen hatte er das wilde Nebeneinander der verschiedensten Machtapparate kennengelernt. Im gleichgeschalteten Großdeutschland galt zwar im Zweifel immer und überall der Befehl Hitlers, doch meistens fehlte es an klaren Befehlen des Führers, und so kämpften die nachgeordneten politisch-militärischen Organisationen und ihre Befehlshaber verbissen um Einfluss und wirtschaftliche Vorteile.
Zoé legte die Stirn in Falten. „Ich dachte bisher, dass die Generäle bis zum Ende treu zu ihrem Führer gestanden haben.“
„Das traf für die Mehrheit zweifellos zu. Denk nur an die Aufnahmen von Hitler und seinen Generälen wenige Monate vor Kriegsende – auf denen Hitler, körperlich schon gezeichnet, sich über Karten beugt und Geisterarmeen befehligt, während die anwesenden Offiziere in Ehrfurcht erstarrt neben ihm stehen. Widerspruch duldete der Führer schon seit dem Frankreichfeldzug nicht mehr.“ Nie würde er diese unterwürfige Ergebenheit der höchsten deutschen Befehlshaber verstehen können.
„Bis auf die Attentäter vom 20. Juli“, sagte Zoé.
„Ja.“ Parker rieb sich die Stirn und rief sich noch mal das Gruppenbild in Erinnerung. „Aber ich habe keinen von den bekannten Verschwörern auf dem Bild wiedererkannt. Erinnerst du dich an den Offizier, der in der Mitte der ersten Reihe saß?“
„Vage – der Kleine mit dem gefährlichen Blick?“
„Genau der. Irgendwoher kenne ich das Gesicht. Aber der Mann gehörte definitiv nicht zu den Attentätern des 20. Juli.“
„Sind die meisten der Verschwörer nicht ohnehin nach dem gescheiterten Attentat verhaftet und ermordet worden?“ Zoés Blick suchte seinen. „Schwer vorstellbar, dass die übrig gebliebenen Verschwörer nur wenige Monate später in der Lage gewesen sein sollen, das Bernsteinzimmer zu klauen.“
„Da ist was dran.“ Parker seufzte. „Ein derartig lang geplantes Kommandounternehmen hat nur eine straff
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