Der Königsschlüssel - Roman
schienen alle Warnungen vergessen zu haben, die sie je über Hexen gehört hatten, nur wegen einem Paar grüner Augen und blondem Haar. Sie konnte nur hoffen, dass die beiden sich nicht gründlich täuschten. Sonst wären sie am nächsten Morgen vielleicht Eintopf!
Am Abend hatte die Hexe eine große Schüssel Salat angerichtet, daneben standen frisches Brot und eine Schüssel Butter. Begierig stürzten sich Urs und Cephei auf das Essen, und wieder war es Vela, die zögerlich abwartete, ob es ihnen bekam. Nachdem sie auch dieses Mal weder grün anliefen noch umfielen, traute sie sich, ebenfalls in das dunkle, noch ofenwarme Brot zu beißen.
Der Elf aß wie ein Schwein, das sich am Trog drängelte, fand Vela, er hatte wirklich wenig Elfenhaftes an sich. Mit den Händen sortierte er alle länglichen, grell orangenen Salatblätter aus
und stopfte sich alles andere in den Mund, während ihm die Salatsoße übers Kinn lief. Bei Cephei und Urs war es nicht ganz so schlimm, aber auch sie besaßen nicht die besten Essmanieren, weil sie die ganze Zeit Serpem anstarrten und so einiges danebenging. Vela war ohnehin unruhig und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.
Die Einzige, die ganz die Ruhe selbst zu sein schien, war Serpem. Sie aß nichts, sah ihnen nur zu und lächelte zufrieden vor sich hin. Das Grün ihrer Augen ähnelte wieder den Schlingpflanzen der Teiche.
Während des Essens dachte Vela an ihre Mutter. Wenn sie sonst zwei Wochen in der Stadt gewesen war, hatte sie ihr nie besonders gefehlt, aber nun wurde ihr die Zeit lang, und wahrscheinlich würde sich die Mutter auch Sorgen machen. Daran hatte Vela nicht gedacht, als sie aufgebrochen war. Jetzt tat es ihr leid, dass sie keine Nachricht hinterlassen hatte. Aber was hätte sie schon schreiben sollen? Auch ihren Großvater vermisste sie, den Geruch der Schmiede, das laute Hämmern. Sie war wohl mehr an ihr Dorf gewöhnt, als sie gedacht hatte.
Nach dem Essen steckte sich Urs seine Pfeife in den Mund und kaute darauf herum, und Serpem legte die Füße in Morvans Schoß, der sie mit seinen langen Fingern massierte. Urs und Cephei erzählten aus ihrem Leben, wobei sie beide die unglaublichsten Abenteuer bestanden zu haben schienen. Vela jedenfalls fand, man konnte nicht einmal jedes dritte Wort glauben. Drachen hatten sich schon lange nicht mehr blicken lassen - wie sollte Urs dann einem den Schwanz abgehauen haben? Und Cephei war mit acht Jahren sicher keiner Sklavenkarawane entkommen. Seine Beine waren damals doch noch viel zu kurz gewesen!
Vela schwieg die meiste Zeit, starrte nur auf die Wände oder beobachtete Serpems Hände, die still in ihrem Schoß ruhten.
Nach einer Weile wandte sich die Hexe ihr zu und fragte: »Was ist mit dir, Vela? Hast du auch Abenteuer zu erzählen?«
»Nein, das hier ist mein erstes.«
»Und dann gleich ein so großes. Was hast du denn bisher gemacht?«
Vela wurde ein bisschen rot. Widerwillig sagte sie: »Ich bin oft in der Schmiede bei meinem Großvater gewesen, er hat mir vieles beigebracht, wie man Messer schleift, Kerzenständer gießt oder Eisen zu Scharnieren hämmert.«
Serpem nickte anerkennend, und auch Cephei sah einen Moment zu ihr herüber, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Hexe schenkte.
»Dann willst du mal Schmiedin werden?«, fragte Serpem.
»Nein, ich möchte eigentlich Mechanikerin werden, mein Vater ist doch auch Mechaniker.«
»Aber?«
»Alle erwarten, dass ich in die Fußstapfen meiner Mutter trete und Turmwächterin am nördlichen Reichende werde.«
»Und du musst das machen?«
Das war die große Frage. Ohne es zu merken, hatte Vela schon mehr von sich erzählt, als sie wollte. Hastig versuchte sie, das Thema zu wechseln. »Wirst du uns wirklich verraten, wem der Klippengeier gehört?«
»Aber ja. Morgen.« Serpem lächelte und griff über den Tisch nach Velas Hand. »Soll ich dir deine Zukunft voraussagen?«
Sie nickte, und Serpem beugte sich über ihre geöffnete Handfläche, um einige Augenblicke intensiv die Linien zu mustern.
»Mhm, interessant, du besitzt ausgeprägte Linien, die haben nur Menschen mit einem abwechslungsreichen Schicksal.«
Auf die letzten Abwechslungen hätte Vela gern verzichtet.
»Du wirst noch weitere Abenteuer bestehen, so viel steht fest.«
Das war doch erfreulich. Wenn die Hexe nicht log und sie doch noch verspeiste, würde sie das alles wenigstens überleben. Das tröstete sie.
»Aber auch Enttäuschungen werden auf dich warten. Und harte
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