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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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sind vom Herzen her wahrlich deutsch geblieben“, erzählte Carlos weiter. „Sie tragen eine stille Furcht über einen Verlust in sich. Sie könnten das, was ihnen lieb und teuer ist und was sie mit Heimat und Regierung verbinden, könnte für immer dahingehen.“
    Es war wohl eher die Romantik der Entfernung, die sie bewegte, dachte Schütz.
    Vor allem die älteren Frauen im Klub trugen bayerische Dirndl. Es wurden Reden gehalten und die Nationalhymne gesungen. Alles in deutscher Sprache. Selbst Schütz wurde verpflichtet, eine kleine Ansprache zu halten. Zwar beherrschte in Paraguay nur etwa ein Prozent der Bevölkerung die deutsche Sprache, das waren aber immerhin schon neunzigtausend Bürger. Als Carlos diese Zahlen erwähnte, ging ein erstauntes „OH“ durch die Reihen. Die meisten dieser Neunzigtausend befanden sich in der Hauptstadt Asuncion und hier in dieser fruchtbaren Gartenlandschaft.
    Die Stimmung stieg rasant mit der Menge des Starkbieres, das getrunken wurde, und mit der Stimmung ebenso die Aggressivität. In den Reden war der Ehre der deutschen Gäste Genüge getan worden. Ihre Vorstellung reichte längst aus. Mit einem Schifferklavier und einem kleinen Schlagzeug spielte die heimisch-deutsche Kapelle zum Tanz auf. Schütz wunderte sich, wie geschickt sich manch einer der Tänzer bewegte auf zurechtgeschnittenen Autoreifen, die seinen Schuhen als Sohlen dienten. Ihre Hemden und Jacken erzählten noch von der Arbeit auf dem trockenen Ackerboden. Begriffe wie ‚Gartenlandschaft und Reichtum‘ zählten wohl nur für Carlos und seine Familie.
    Eine feindselige Haltung gegenüber dem Estanciero zeigte sich auch bald unter den anderen Klubgästen mit steigendem Alkoholkonsum. Aus einem freundlichen Besuch zweier deutscher Parteimitglieder der PCD aus Berlin entwickelte sich augenblicklich die vermutete Kontrolle von Vorgängen in Paraguay durch Staatsbeauftragte. Man hielt ihnen vor, unter Tarnnamen geheime Aufträge zu erfüllen.
    Jürgen Schütz musste die Toilette aufzusuchen. Er hatte zwar die heißen Diskussionen mitbekommen, die teilweise in Spanisch gehalten wurden, bis zu seinem Ehrentisch aber waren die Verdächtigungen nicht gelangt. Freundlich lächelnd drückte er sich zwischen den Tisch- und Stuhlreihen hindurch. Das eine oder andere Mal wurde er in der Menge angestoßen.
    Auf dem Pissoir glaubte er, sich von einem ansteigenden Druck befreien zu können. Der wirkliche Druck stand ihm aber erst noch bevor. Junge Männer stritten sich in Spanisch über Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bestimmter Vorgänge. Es ging ums Geld, das konnte er selbst aus den spanischen Wortfetzen, die er mitbekam, entnehmen. Geld und Alkohol vermischten sich zur schnell anwachsenden Kontrolllosigkeit.
    Ein fettgesichtiger Bursche mit kahl geschorenem Kopf fiel über ihn her und versuchte ihn über seine Aufgabe an diesem Ort auszuquetschen. In der nachfolgenden heftigen Diskussion begriff Schütz mit einem Mal, worum es den Menschen hier wirklich ging. Ihr glatzköpfiger Anführer, dessen Namen er mit Pedro Alberta verstanden zu haben meinte, nahm kein Blatt vor den Mund um seine Interessen in Deutsch darzustellen.
    „Ihr wollt uns die Witwen und Waisenrenten oder die Verfolgungsrenten streichen. Verschwindet hier, lasst uns in Ruhe.“
    Für die Familien bedeuteten die Beträge, ihre Kinder studieren lassen zu können. In den meisten Fällen, in denen der Reichtum nicht so glänzte, wie bei Carlos Blaugut, stellten sie eine notwendige Unterstützung für den Lebensunterhalt dar. Das alles erfuhr Schütz in einem aggressiven Handgemenge, das sich mittlerweile bis vor die Tür der Versammlungshalle verlagert hatte.
    „Diese Renten sind selbstverständlich nicht gerechtfertig“, verteidigte sich Schütz. Die Worte überlebte er nicht lange stehend. Einige kräftige junge Burschen zerrten ihn hinter den Saal auf eine Wiese. Die Nacht war stockfinster. Die vier Männer packten ihn. Zwei hielten ihn an den Armen fest, die anderen beiden schlugen auf ihn ein. Er hatte keine Chance zur Gegenwehr. Als Erstes traf ihn ein Faustschlag brutal im Gesicht. Durch das Knirschen der Knochen glaubte er, sein Kiefer sei gebrochen. Er schüttelte seinen Kopf und glaubte eine Bombe sei zwischen seinen Zähnen explodiert. Ein Faustschlag von unten in seine Magengrube ließ ihn zusammensacken. Sein Kopf fiel nach vorne, als ihn erneut ein Schlag genau auf dem Kinn traf. Der zweite Schläger sprang hoch und trat ihn mit seinem

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