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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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während sie sanft in die Höhe getragen wurden, legte Barbara ihm die andere Hand auf die Schulter und drehte ihn auf der Holzbank zu sich her: dann küsste sie ihn, und er küsste sie mit geschlossenen Augen wider. (Er stopfte ihr nicht roh die Zunge in den Mund, wie es – das hatte er in einem seiner lehrreichen Bücher gelesen – nur dumme Männer tun, sondern ließ sich streicheln und streichelte wider.)Dabei dachte Alexej: So ist das also. So fühlt sich ein Kuss an. In seinem Brustkorb tobte ein wildes Trommelsolo, er bekam Angst, bald würde er nicht mehr atmen können. Während sie mit einem kleinen Ächzen des Riesenrades noch ein Stück höher fuhren, kümmerte Alexej sich zärtlich um ihren Hals, den sie ihm bereitwillig, wie einem Vampir zum Biss, entgegenhielt. (Sie stieß kleine Gurrlaute aus, die ihn bis zur Sinnlosigkeit erregten.) Auf dem Scheitelpunkt der Fahrt – vor den Fenstern der Kabine war Nebel, Nebel, nichts als Nebel, als sei da draußen die Welt untergegangen – ließ Barbara lächelnd zu, dass er ihre Bluse aufknöpfelte, mit einer Hand hineinschlüpfte, Haut und zarte Spitzen ertastete und dasselbe Staunen erfuhr wie Generationen junger Männer vor ihm: Sie sind ja ganz weich! (Er zitterte am ganzen Körper, seine Zähne schlugen schnatternd aufeinander.) Als der Abstieg in die niederen Gefilde begann, brachte sie ihre Kleidung wieder züchtig in Ordnung, aber ihre Lippen lösten sich nicht voneinander, bis der Lulatsch in der Livree die Eingangstür ihrer Kabine entriegelte und sie im Schreck auseinanderfuhren.
    Das war also ihr erster Kuss gewesen, viele andere folgten ihm nach. Gilt in eroticis nicht meistens die Parole »Frechheit siegt«? Freilich trifft manchmal – eigentlich öfter, als die Leute glauben – auch das glatte Gegenteil zu: dann siegt eben einmal der Schüchterne. Und um die Sache gänzlich verwirrend zu machen, trägt mitunter auch die freche Schüchternheit den Triumph davon oder – so wie in unserem Sonderfall – jene schüchterne Impertinenz, die quasi zaghaft mit der Tür ins Haus fällt.
    Barbara hatte Alexej danach öfter einmal in Meidling besucht, in seiner lichtlosen Bude im Souterrain. Ohne Kommentar nahm sie das Regal aus Obstkistenzur Kenntnis, in dem vor allem Kunstbände aus zweiter Hand alphabetisch einsortiert standen; sie bewunderte eine (ziemlich gute) Reproduktion von Franz Marcs gelb-schwarzem Tiger, die er gerahmt und über sein Stahlbett gehängt hatte; prüfend schaute sie durch das eine (vergitterte) Fenster an der Ecke des Plafond (man sah zwar keine Sonne, dafür aber die Füße von Passanten auf der Straße); sie setzte sich an den wackeligen Tisch, an dem er aß und las und seine Seminararbeiten schrieb. Ohne Widerstand ließ sie sich von ihm auf die Matratze ziehen, und manchmal stießen beide grob keuchende Laute aus, während sie zart aneinander Erkundungen anstellten – aber es war bei solchen Begegnungen nie (wie unsere Großmütter gesagt hätten) zum Äußersten gekommen: Die Kleidung behielten sie züchtig am Leibe. Immerhin wusste Barbara danach einen zärtlichen Spitz- und Spottnamen für ihn – mit Hinblick auf das Bild von Franz Marc nannte sie ihn »mein kleiner Tiger«, manchmal auch einfach »Tigerchen«. Die Erinnerung an jene gemeinsamen Stunden löste noch jetzt (im Hotel »Goldener Hirsch«, in dem sie sich für dieses Wochenende verabredet hatten
Hinweis
) solche Hochgefühle aus, dass Alexej ganz schnell die Beine übereinanderschlagen musste.
    Vor einer Woche waren sie dann endlich zum ersten Mal miteinander im Kino gewesen. Sie gingen in keinen der großen Filmpaläste, denn dort wäre die Gefahr zu groß gewesen, dass jemand Barbara erkannte; stattdessen spazierten sie eines Abends von ihrer Wohnung zu einem der freundlichen kleinen Praterkinos hinüber. Dort bekam man nicht nur Dutzendware aus den Rosenhügelstudios, sondern auch künstlerisch Wertvolles oder Exotisches zu sehen, manchmal sogar den einen oder anderen Film aus Kansas oder Canada. Doch Barbara und Alexej waran diesem Abend nicht nach Kopfzerbrecherkino zumute; ein Abenteuerfilm sollte es sein, und so lösten sie lieber Eintrittskarten für Das Budapest-Komplott, einen Kriminalfilm mit Max von Winterstein und Julia Wallach in den Hauptrollen. Laut Ankündigung gab der hochgewachsene Freiherr von Winterstein einen hartgesottenen Gendarmen, die berühmte Wallach dagegen spielte eine naive Touristin aus München – ganz aus Versehen stolperte

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