Der Komet
–, dass Nikolaus II . (über den man sonst manch Unfreundliches sagen konnte) diesen Maler in dem ansonsten eher ereignisarmen Jahr 1917 zum Baron erhoben hatte?
Am Schluss fanden Alexej und Barbara sich vor dem Porträt des Künstlers als junger Mann wieder:hellwache dunkle Augen, rötlich-gewelltes Haar, Kinn- und Schnurrbart.
»Du sieht ihm ähnlich«, sagte Barbara. Mittlerweile waren sie also glücklich beim »Du« angelangt.
»Unsinn«, sagte Alexej. Hierbei verwandelte sich sein Kopf, vom Halsansatz her beginnend, in eine große ovale Scharlachbeere.
»Doch, man muss sich nur den Bart wegdenken. Ein schöner Mann.«
»Aber ich bin doch … hässlich.« Das letzte Wort hatte Alexej verschlucken wollen, aber er schluckte zu spät: Es war dem Gehege seiner Zähne schon entflohen.
Barbara sah ihm voll ins Gesicht, ohne im Mindesten zu lächeln. »Du bist nicht hässlich, mein Freund«, sagte sie fest. »Du ziehst dich nur ganz falsch an.« So kam es, dass Alexej, der sich furchtbar zierte, in Wirklichkeit aber – »ich dulde keine Widerrede« – gar nicht gefragt wurde, einen Tag später dem »k. k. Hof-Schneider Wolff-Knize« im Graben einen Besuch abstattete. »Berlin – Paris – Bad Gastein« stand in Goldlettern über der noblen schwarzen Marmorfassade, Barbara wartete mit ihrer Handtasche vor dem Geschäft auf ihn. »Hinein«, sagte sie in befehlsgewohntem Ton. Drinnen begrüßte sie Herr Abraham, ein älterer Herr mit weißem Haarkranz; Barbara stellte ihm Alexej als »engen Freund unserer Familie« vor. Herr Abraham hing ein gelbes Maßband über der Schulter, er bückte sich und legte es Alexej mal hierhin und mal dort herum, griff ihm auch beherzt in den Schritt und schrieb mit Bleistift auf einen Notizblock. Zwei Wochen später – als Stammkundin konnte Barbara auf rasche Erledigung ihrer Aufträge dringen – nannte Alexej zwei Maßanzüge sein Eigen: einen hellen, leichten für den Sommer und einen dunklen aus dickerem Baumwollstoff für den Winter, dazu mehrere Hemden und vier Krawatten; auch beiihrer Auswahl hatte er selbstverständlich kein Wort mitzureden. Anschließend kaufte Barbara ihm von der Stange noch ein Paar Freizeithosen und etwas Buntes, Kurzärmeliges. »Fesch schaust du aus«, meinte sie befriedigt, als Alexej ihr seinen dunklen Anzug vorführte. »Beinahe wie ein Mensch!« Alexej hatte gar nicht gewusst, dass es Hemden gibt, die sich der Haut dermaßen sanft anschmiegen; auch war ihm neu, dass Anzüge bequem sein können. Bis dato war er dem Irrglauben verfallen gewesen, man müsse sich zwischen steifer Eleganz, die zwickt und Falten wirft, oder sackförmig-bequemer Schludrigkeit entscheiden.
»So«, sagte Barbara, nachdem das erledigt war, »und jetzt gehen wir Schuhe kaufen.« Sie fuhren mit der Elektrischen zur »k. u. k. Schuh-Manufaktur« im III . Bezirk hinüber, wo ein sehr hochgewachsener dunkelblonder junger Mann die Umrisse von Alexejs Füßen auf ein Blatt Papier zeichnete: einmal im unbelasteten Zustand (also während er saß), einmal im Zustande der Belastung (dazu musste er aufstehen); der junge Mann griff sich dann, nachdem er viele Male sein Maßband gebraucht hatte, zwei Rohleisten aus dem Regal, stellte sie neben Alexejs Füße und beäugte die gerundeten Holzteile kritisch; auch tastete er vorsichtig seine alten ausgelatschten Treter ab. Einen Monat später hielt Alexej ein Paar Oxford-Schuhe in der Hand: dunkelrostrot mit gerader Kappe – eben jene beinahe überirdisch schönen Schuhe, die er jetzt gerade an den Füßen trug.
Wie viel Barbara das Vergnügen gekostet hatte? Alexej wollte es lieber gar nicht so genau wissen. Aber wir können die Wahrheit hier ruhig schreiben: 6428 Kronen und 61 Heller standen hinterher auf der Abrechnung für den »k. k. Hof-Schneider Knize-Wolff«, und 1358 Kronen in bar streckte Barbara dem freundlich-professionellen jungen Mann in der »k. u. k. Schuh-Manufaktur« entgegen.
Etwas stimmte nicht. Wo sie nur blieb? Drei Stunden harrte Alexej jetzt schon unter den Hirschgeweihen aus, jedenfalls kam es ihm so vor (in Wirklichkeit werden es wohl eher zwanzig Minuten gewesen sein). Etwas musste sie aufgehalten haben. Oder war sie am Ende verhindert … vielleicht hatte sie kalte Füße bekommen … würde das strenge Rezeptionsfräulein ihm gleich ein Telegramm mit ein paar banal-vernichtenden Worten der Entschuldigung aushändigen? Nein, Barbara doch nicht, das passte überhaupt nicht zu ihr. Sie gehörte doch nicht zu
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