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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Tauziehen
benutzt hatten, und es regnete Saft, Traumkapseln, Xylemspäne
und pflanzliches Plasma.
    Die Tragfläche kam mit einem Ruck frei.
    Ich zog an dem Steuerknüppel.
    Die Dante stieg senkrecht nach oben, brachte sich wieder in
Sicherheit und hatte die Anziehungskraft des Hydrasteroiden bald
vollständig überwunden. Mein Gewicht glitt wie
flüssiges Wachs von mir herunter.
    »Dieser verdammte Pirat!« rief Urilla, als sie aus der
Luftschleuse gestolpert kam.
    Dieser verdammte Pirat. Das war irgendwie die angemessene,
die perfekte, die einzige Reaktion auf den Verlust eines
Mannes wie Baptizer. Keiner von uns beiden empfand natürlich
große Trauer, und Mitleid war auch nicht das richtige Wort
für unsere Stimmung. Im Grunde verspürten wir so etwas wie
einen nachdenklichen Fatalismus, etwa wie ›Tja, und dann ist man
plötzlich tot‹. Der böse alte Tod. Der Tod, der ganz
unvoreingenommen in einer von hundert verschiedenen Arten kommt, vom
langen Siechtum und dem vorhersehbaren Hinscheiden bis zu einem
schnellen und überraschenden Ende wie in Baptizers Fall.
    Wir standen vor dem Monitor wie gierige Erben vor einem sterbenden
Verwandten. Urilla behielt ihren Raumhelm auf. Sie sah auch mit dem
Saft noch wunderschön aus.
    Auf dem Bildschirm lag die Farm in den letzten Zügen. Jede
Quadrisphäre war ein Sumpf aus Rauch und Feuer. Es sah aus, als
ob Hydrasteroid 888 ein kleiner, planetenloser Stern geworden
wäre.
    Nachdem sie ihren Job erledigt hatten, rasten die Söldner von
dem Feuerball weg in den Raum.
    »Irgendwas stimmt da nicht«, sagte ich. »Diese Frau
auf dem Irrenschiff, Marta Rem – sie hat vorhergesagt, daß
ich einen wunderbaren Schatz finden würde, wenn der Baum sein
Leben ausgehaucht hätte. Ich habe aber keinen Schatz.«
    »Was soll das heißen, du hast keinen Schatz?«
erwiderte Urilla mit geheuchelter Empörung, während sie dem
Autopiloten befahl, uns nach Gidim-Xul zurückzubringen. »Du
hast doch mich, oder?«
    Und so kam es, daß wir den fliegenden Fuchsbau auf dem
Rückflug für das benutzten, was meine Tochter
›heiße Nummern schieben‹ zu nennen beliebte.
     
    Wegen der zermalmten Tragfläche war unsere Landung beim
Verrückten Raben das flugtechnische Gegenstück unseres
Starts von 888. Mit waagrecht liegendem Rumpf und flammenspeienden
Rückstoßdüsen fiel die Dante geradewegs aus
dem Himmel, setzte auf der Landebahn auf und rollte in die
nächste Parklücke. Alles ging so schnell, daß Boo
Paesurely gar keine Zeit hatte, sich zu ängstigen oder
wütend zu werden. Von meinem Turm aus, in dem ich verkehrt herum
hing, sah ich, wie er ein paar Meter auf den Raumhafen heraustrat,
die Augen vor der Nachmittagssonne schützte, finster in unsere
Richtung blickte und seine Arme zu einer eindeutigen Geste der
Bestürzung koordinierte.
    Wir marschierten ins Foyer, zwei siegreiche Krieger, die nach
Hause zurückkehrten. Keine Menschen sammelten sich um uns, keine
Massen jubelten uns zu. Lilit war wahrscheinlich auf dem
Rosamundesee. Iggi war wahrscheinlich in der Psychobillardhalle.
Jonnie war wahrscheinlich in einem der schmuddeligeren Psychosalons
von Gidim-Xul und zog sich gerade eine Erotokapsel rein.
    »Ich brauch was zu essen«, sagte Urilla und machte sich
auf den Weg zum Lustigen Hexenmeister.
    »Ich brauch einen Drink«, sagte ich und folgte ihr.
»Zwei Drinks.«
    Im Lustigen Hexenmeister suchten wir uns einen Tisch und verfielen
in das uralte abergläubische Benehmen von Restaurantgästen;
wir versuchten mit unserer Attitüde die Aufmerksamkeit des
Kellners zu erregen und ihn davon zu überzeugen, daß wir
wußten, was wir haben wollten. Aber der Kellner blieb einfach
auf dem Barhocker sitzen und las ein Elektrozin-Printout.
    Urilla war zu sehr mit sich zufrieden, um sich über den
Kellner zu ärgern. »Wir haben’s geschafft,
Quinny!« trällerte sie. »Wir sind Helden, genau wie
wir’s gesagt haben!«
    »Ja«, erwiderte ich leise. Ich fühlte mich nicht
wie ein Held. Ich war nervös und erschöpft und froh,
daß ich noch am Leben war.
    Ich gähnte. Meine Augenlider schlossen sich abrupt. Und
plötzlich war er da. Baptizer. Baptizer der Erhängte.
Schreie gellten zwischen seinen schwarzen Zähnen hindurch. Sein
Todestanz lief in meinem Kopf immer wieder ab, wie eine Schleife in
einem Holofilm.
    Ich riß die Augen auf. Mein Blick fiel auf ein großes,
zylindrisches Objekt, das über der Bar hing. Zuerst kam eine
furchteinflößende Speerspitze, gefolgt von einem
metallenen

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