Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
Hände hoch in den Himmel. Der Mann trägt ein mit Stachelschweinborsten besticktes Lederhemd, das mit den Haarlocken seiner Feinde geschmückt ist. Seine Kopfbedeckung besteht aus Hermelinfellen und aus den ausgekratzten Augen rinnen blutige Tränen über seine verrunzelten Wangen.
Wumm … Wumm … Wumm …
Das Trommeln wird lauter, erfüllt die Luft mit seinem Geräusch.
Wumm … Wumm … Wumm …
Jetzt liegen alle Weißen auf dem Boden – schreien, stöhnen, jammern, bluten, alle ohne Skalp. Dann richten sich die Indianer gleichzeitig auf, stehen jetzt aufrecht und reglos da – und in diesem Augenblick weiß Blake, was sie hierhergeführt hat.
Die Indianer sind gekommen, um die Pocken zurückzubringen.
Er sieht, wie jedes einzelne Gesicht sich verzerrt, verfällt, sich auflöst, jedes einzelne ein grinsendes Zerrbild der menschlichen Gestalt. Und jedes dieser übel riechenden Gebilde schmilzt und fließt davon wie Talg … was einmal Fleisch war, ist jetzt faulig und verrottet und triefend, Aas, an dem die Knochen freigelegt sind, das langsam aufgefressen wird. Er sieht die Indianer, sterbend und entstellt, wie sie sich auf die Türen der Häuser zubewegen. Er sieht, wie sie auf die Türklinken spucken und den Eiter aus ihren Gesichtern über die Fenster schmieren und wie aus jeder Kehle ein jämmerlicher Schrei dringt und darum fleht, diese Dämonen zurückzunehmen.
Dann knallt Wilfred Blake die Tür zu und schiebt den Riegel in seine Halterung.
Das Pochen hat aufgehört. Blake seufzt. Dann fängt die Kerze an zu zischen, verlischt. Dunkelheit, Schwärze. Tripp … Tripp … Das Geräusch kommt von der anderen Seite des Raums.
Der erste Tomahawk kracht in die Tür.
In seinen Taschen herumtastend, findet er ein Streichholz, reißt es an. Schwefel blitzt gelb auf. Dann setzt er sich quer durch den Raum in Bewegung, das Streichholz vor sich in der Hand – in jenen Teil des Raumes, den er im Kerzenlicht nicht sehen konnte.
Hier ist der Boden mit zerbrochenen Flaschen, Fässern und umgekippten Medizinkisten übersät. Zersplittertes Glas, verstreutes Pulver, Tinkturen sickern aus Bleibehältern und besudeln alles, was sich in Reichweite befindet. Pillen und Flüssigkeiten mischen sich mit Whiskey, Wein und Rum.
Knack! Knack! Knack! Tomahawks zersplittern die Tür.
Das Streichholz verlischt . Ein anderes finden! Wieder das gelbe Licht. Und diesmal sieht er die Knochen und Schädel auf dem Boden.
Jetzt packt Blake der verzweifelte Wunsch, diese Szene aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Er reibt sich die Augen und beginnt sich zu drehen, sich immer wieder zu drehen. Denn er hat an jedem Knochen die Spuren von Reißzähnen gesehen, hat die Schädel gesehen, die aufgesägt und ihres Inhalts beraubt sind, hat gesehen, wie sogar diese Skelette noch die Haltung von Panik und Entsetzen zeigen. Und das Durcheinander von Knochen dehnt sich meterweit nach allen Richtungen.
Tripp …
Das zweite Streichholz knistert und erlischt.
Er reißt sein letztes Streichholz an. Er kauert sich nieder. Seine Finger tasten den Boden ab. Blut, eine Pfütze aus klebrigem Blut sickert in das Sägemehl und den Bretterboden.
Tripp … Tripp …
Ein Tropfen von oben landet auf seinem Handrücken. Denn jetzt regnet Blut in zähflüssigen Tropfen von der Decke des Raums. Blakes Kopf ruckt nach oben und ein Schauder überläuft ihn bei dem, was er sieht.
Dann fängt das Dröhnen wieder an.
Der Trommelschlag kommt jetzt von oben, kommt vom Dach, hinter einer Falltür in der Decke. Ein gnadenloses Pochen hallt in seinem Kopf.
Die Leiche hängt umgekehrt von der Decke, hängt an Nägeln, die durch beide Füße gehämmert worden sind. Der Kopf fehlt, der Hals ist durchschnitten, sodass man in einem Kreis aus rohem Fleisch Venen und Muskeln, Arterien und Knochen sehen kann. Was von dem Mann übrig ist, trägt noch die leuchtend rote Uniformjacke der Northwest Mounted Police. Und Blake weiß irgendwie, dass die Uniformjacke die seine ist. Großer Gott, denkt er, weshalb muss ich so –
Klick.
Was war das? Klick.
Da ist es wieder!
Die Skelette fangen jetzt alle an sich zu bewegen. Jeder Knochen schließt sich an einen anderen an. An noch einen. Und noch einen. Und dann grinst jeder Schädel Blake an.
Der Inspector reißt sein Holster auf und tastet ins Leere: Seine Waffe ist weg.
Mit lautem Krachen bricht die Tür auf und die Indianer dringen ins Zimmer.
»Jetzt haben wir ihn, Brüder«, kreischt ein Schädel entzückt, und
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