Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
dass vor ziemlich genau 120 Jahren bei den Kwakiutl-Indianern der Kannibalismus weit verbreitet war. Zwei Männer, sie hießen Hunt und Moffat, brachten erste Berichte über diesen Brauch zurück. Manchmal, so sagten sie, wurden zum Nutzen der Hamatsa Sklaven getötet. Und manchmal begnügten sich die Hamatsa auch damit, das Fleisch von der Brust und den Oberarmen ihrer eigenen Stammesbrüder abzureißen.
Es schien, dass die Hamatsa innerhalb der Gruppe eine besonders privilegierte Stellung einnahmen. Sie waren praktisch lizenzierte Kannibalen.
Hunt und Moffat schwören jeden Eid darauf, dass sie in der Nähe von Prince Rupert das Folgende gesehen haben. Ein Kwakiutl schoss einen entlaufenen Sklaven an und verwundete ihn, worauf dieser am Rand eines Flusses zusammenbrach. Sofort fiel eine Gruppe, in der sich auch Hamatsas befanden, über ihn her. Sie sahen zu, wie die Kwakiutl den Sklaven mit ihren Messern in Stücke schnitten, während die Hamatsa im Kreis darum kauerten und »Hap! Hap! Hap!« schrien. Hunt und Moffat, die hilflos waren und sich nicht einmischen konnten, berichten, dass die Indianer nach dem noch warmen, zitternden Fleisch schnappten und es den anwesenden Angehörigen des Kannibalenkults in der Altersreihenfolge anboten. Zur Erinnerung an die Episode wurde später in einen Felsen am Strand ein ähnliches Abbild des Baxbakualanuxsiwae eingeritzt. Er-der-der-Erste-ist-der-an-der-Mündung-des-Flusses-Mensch-isst, Baxbakualanuxsiwae – der Kannibalengott – soll angeblich in einem Geisterhaus hoch oben an den Hängen der Rocky Mountains leben, wo aus dem Kamin seines Heims Tag und Nacht blutroter Rauch steigt.
Dann folgt eine ganze Liste von Beweisen, mit denen andere Weiße diese Praxis bestätigen.
Wenn man Hamatsas verhörte, stellte man fest, dass ihre Zähne am Verfaulen waren. Das kam daher, dass sie sie scharf zugefeilt hatten, um besser mit ihrer Nahrung zurechtzukommen.
Hältst du es für möglich, dass Hamatsa als eine Art moderne Terroristentaktik benutzt wird?«
»Ich weiß nicht, was ich gerade denke, aber jedenfalls sind seltsame Dinge geschehen«, sagte DeClercq.
»Als ob ich das nicht wüsste. Mir fallen aus den Annalen der abnormalen Psychologie vier Beispiele von Kannibalismus ein – oder von Dingen, die dem nahe kommen. Fish in New York, Gein in Wisconsin. Kemper in Kalifornien. Und vielleicht Nelson hier, in British Columbia.«
»Dann liege ich vielleicht gar nicht so falsch.«
»Kann durchaus sein. Trotzdem hoffe ich es. Wenn du nämlich recht hast, beschränkt dieser Killer seinen Nahrung auf Gehirn.«
»Im Augenblick wäre ich mit jedem Indianer zufrieden, der in dem Fall auftaucht.«
»Nun«, sagte Genevieve, »wer weiß, was die Zukunft uns bringen wird? Vielleicht wirst du die Antwort nur im Bau von Baxbakualanuxsiwae selbst finden. Vielleicht verbirgt sich die Wahrheit hoch oben in den Rocky Mountains.«
10:07 Uhr
Robert DeClercq lächelte, als er den Hörer auflegte. Er stand auf und ging ans Fenster. Er sah auf seine Armbanduhr, nahm dann sein Uniformjackett von der Stuhllehne und zog es an. Während er zur Tür ging, fiel sein Blick wieder auf die vergrößerte Aufnahme der an den Begräbnispfahl genagelten Leiche Joanna Portmans. Ihm kam es vor, als würde das geschnitzte Dogfish-Gesicht alle auslachen, die es betrachteten.
Und in diesem Augenblick erinnerte er sich an ein anderes, viele Jahre zurückliegendes Lachen. Er erinnerte sich an eine Hütte in der Wildnis im nördlichen Teil von Quebec, wo ein Kind tot auf einem Bettchen lag, den Kopf in einem unnatürlichen Winkel verdreht. Er hatte gespürt, wie das Messer in seinen Bauch stach, aber er wusste, dass es nichts zu bedeuten hatte. Ihm war nur wichtig, dass seine Hände sich schnell um den Hals des lachenden Mannes schlossen, das Leben aus ihm herausquetschten, ihn würgten, zudrückten und jenes schwarze Lachen in seiner Kehle vernichteten.
Auch als der Mann schon tot war, konnte der Superintendent es noch hören. Schwarzes Lachen.
Axtmann
New Orleans, Louisiana, 1957
Der Mann mit der an seinem Handgelenk angeketteten Aktentasche dachte an sein Kaninchen.
Er saß auf einem Stuhl, etwas abseits von der Tanzfläche, und beobachtete all die selbstgefälligen, von Etikette und Snobismus überquellenden Menschen in ihren Abendkleidern und Krawatten und nahm den ganzen Prunk des »Rex Ball«, der jetzt um ihn herum in vollem Schwung war, nur teilweise wahr.
Um 12:41 Uhr sah er auf die Uhr und
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