Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
worden waren. Wie im Namen der Barmherzigkeit kann Gott zulassen, dass das geschieht!, dachte sie. Und dann sah sie das Blitzen von Licht auf Stahl.
Und das Messer zischte durch ihre Kehle.
Jack-o‘-Lantern
Montag, 1. November, 01:30 Uhr
Robert DeClercq hatte öfter den Tod gesehen, als für irgendeinen Menschen gut war – ganz gleich, wie professionell betäubt seine menschliche Sensibilität auch sein mochte. Der Superintendent hatte sich, wie alle Männer und Frauen, die täglich mit Mord zu tun haben, damit abfinden und eigene Methoden entwickeln müssen, um diese subjektivste aller menschlichen Ängste zu objektivieren – das Wissen nämlich, dass man sterben wird. DeClercq hatte festgestellt, dass es unmöglich war, sämtliche Emotionen ganz auszuschalten. Er sah sich auch außerstande, so etwas wie Galgenhumor zu entwickeln. Am Ende hatte sein Bewusstsein eine Art Kompromiss mit sich selbst geschlossen: Es blieb genug Vernunft übrig, um die Arbeit zu tun, auch wenn sie in wachsendem Maße von Traurigkeit beeinträchtigt wurde. Traurigkeit über den Verlust.
30 Jahre lang hatte diese Technik für ihn funktioniert.
An diesem Abend aber tat sie es nicht.
Das absolut Entsetzliche, das DeClercq vor sich sah, ließ in ihm eisigen Zorn aufsteigen.
Die Leiche der Nonne lag vielleicht zehn Meter von dem Gartenweg entfernt im grellen Scheinwerferlicht auf dem Boden. Die Männer, die es zu ihrem Beruf gemacht hatten, sich mit Morden zu befassen, gingen um sie herum ihrer Arbeit nach, die Spurensicherung blitzte ihre Fotos und suchte mit summenden Metalldetektoren das Gelände ab, die Hundeführer führten ihre Schäferhunde von der Stelle aus, wo die Nonne ausgestreckt im Schlamm lag, nach draußen. Joseph Awakomowitsch kauerte zur Linken von Inspector MacDougall, zur Rechten vom Superintendent flankiert, einen halben Meter vom Opfer entfernt auf dem Boden. Was man mit der Schwester getan hatte, versetzte Robert DeClercq in Wut.
»Dieselbe Handschrift«, sagte Awakomowitsch und zeigte dabei auf das Fleisch am Hals, wo der Kopf abgetrennt worden war. »Dicht unter dem horizontalen Schnitt, mit dem die Leiche enthauptet wurde, kann man die senkrechte Stichwunde erkennen. Ich möchte den obersten Wirbel, Jack, sobald die Autopsie erledigt ist.«
Inspector MacDougall nickte. Auch er war wütend, weil dies die zweite Leiche war, die man im Zuständigkeitsbereich von North Vancouver gefunden hatte – und North Vancouver war MacDougalls Heimatrevier. Er wandte den Blick von der Leiche und sah in die Runde, um sich ein Bild vom Fortschritt der Ermittlungsarbeiten zu machen.
»Sie ist vergewaltigt worden«, erklärte der Russe, »und dann hat ihr der Täter einen Schnitt quer über die Brüste verpasst.« Er blickte einen Augenblick lang auf, seine Stirn runzelte sich angeekelt. »Der Verkehr war brutal.«
»Du meinst, weil sie Jungfrau war?«
»Jungfrau oder nicht, das würde keinen Unterschied machen. Dieser Kerl ist ein wildes Tier.«
»Sind ihre Kleider zerrissen oder zerschnitten?«, wollte der Superintendent wissen.
»Beides. Vom Schritt bis zu den Füßen ein Messerschnitt. Vom Hals bis zur Hüfte zerrissen.«
»Ist sie hier getötet worden?«, fragte Inspector MacDougall.
»Ja. Hier ist zu viel Blut, als dass es anders sein könnte. Der Regen hat zwar etwaige Fußabdrücke oder sonstige Spuren auf dem Boden vernichtet, aber wie es aussieht, ist sie zu Fuß den Weg heruntergekommen und dann in die Büsche gezerrt worden. Und drüben in der Nähe des Weges gibt es Spuren, die auf ein Handgemenge deuten.«
»Wer hat sie gefunden?«, fragte DeClercq.
»Eine andere Schwester«, antwortete MacDougall. »Sie war rausgekommen, um das Tor zu schließen und abzusperren. Sie hat die Kerze brennen sehen.«
»Ich würde gern wissen, was ein Psychiater aus all dem machen würde.«
Genau in diesem Augenblick trat die volle Mondscheibe zwischen den Regenwolken hervor. Der Tatort war plötzlich in metallisch silbernes Licht gehüllt. Die drei Männer standen stumm um die Leiche der Nonne. Jeder hatte seine eigenen Gedanken über das, was geschehen war. Keiner hätte behaupten können, auch nur annäherungsweise zu begreifen, was im Bewusstsein des Headhunters vorging. Fest stand lediglich, dass sie es mit einem Wahnsinnigen zu tun hatten. DeClercq vermutete, dass der Killer entweder seinem Opfer aufgelauert hatte oder ihm gefolgt war. Er hatte die Nonne vergewaltigt, sie erstochen, dann ihre Kleider zerschnitten
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