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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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steht zur Zeit auf.«
    »Zahlen wir ’s Petroleum oder er?«
    »Willste still sein. Is ’n ordentlicher Jung.«
    Gottlieb Kunkel in der Tür beobachtete den Streit zwischen Mutter und Bruder mit übertriebener Aufmerksamkeit. Sein Gesicht war gespannt und zuckte.
    »Wer’s zahlt, frag ich.«
    »Still!«
    Er schrie. Die Frau zog sich unter der scharfen Stimme zusammen, ihres toten Mannes Stimme. Sie sah an dem langen Sohn hinauf, auf den sie eigentlich stolz war. Christian fuhr jetzt den Bruder an. »Leg dich, hopp. Mußt bald auf.« Er ging in den Schuppen hinüber. Zwischen Bastschwänzen, Tonscherben, Geräten und Säcken lag ein Strohsack, auf dem ein lesender Junge saß. Er trug eine kurze Unterhose. Sein Oberkörper war glatt und nußbraun. Neben ihm auf dem Boden stand eine Petroleumlampe. An der Wand hingen nebeneinander ein Arbeitskittel und eine Windjacke mit ordentlich glattgezogenen Ärmeln. Darunter standen ein Paar Strohschlappen und ein Paar Stiefel. Der Junge legte das Buch weg. Sein ruhiges, helles Gesicht war offen; Kunkel drückte die Augen zu, als er ihn anblickte. »Bißchen eng hier, Kamerad.« Der Junge erwiderte: »Macht doch nichts, zumSchlafen.« Kunkel hatte sich mit dem Kößlin in Billingen angefreundet. Als er herauskriegte, daß er ein stellungsloser Gärtner war, hatte er ihm zugeredet, sich nach Oberweilerbach umzuschreiben. Kößlin half mal vorerst über die Ernte gegen Kost, wenn Christian aufs Feld mußte. Christian hatte sich aber nicht entschließen können, ihn ins Haus zu legen. Das Gedalber der Schwester, das Geschimpfe der Mutter, Gottliebs hin- und herlaufende Augen – überhaupt war es besser, im Hause unter sich zu sein!
    Kunkel hob das Buch auf. Er sah hinein und setzte sich neben Kößlin auf den Sack. Sie betrachteten Kopf an Kopf die Bilder, Fahnenweihen, Beisetzung eines Toten zwischen Fahnen, Bildnisse von Männern. Kunkel sagte: »Unsereins kommt da nich dazu.« Kößlin sagte: »Ich hab mir’s angewöhnt, mal ’n Buch. Was soll man das ganze Jahr über machen.«
    »Na, hier vergeht dir die Zeit.« – »Gut, gut, so einer wie ich verlernt auch nichts. All die Jahre hab ich gedacht: Bloß mal wieder ’n paar Sämlinge zwischen die Finger. Bloß mal wieder ’ne Riefe über den Daumen von ’ner krummen Schere.«
    Kunkel sah ihn erstaunt an. Er lachte. »Na, morgen abend wirste die Riefe haben.« Kößlin sagte: »Ja, das hat sich gut gefunden.«
    »Wie lange biste schon da dabei?« – »Im zweiten Jahr. Und du?« – »Kurz.« – »Seid noch allein, dein Bruder und du?« – »Na, mein Bruder, der Gottlieb, der is ja noch ein Rotz. Hör mal, Kößlin, hilf mal. Mir ist so mulmig. Mit zwanzig komm ich, hab ich gesagt. Aber wo sind die siebzehn? Du, ich, Gottlieb.«
    »Müssen wir einen nach dem andern durchgehen, bei jedem einhaken.«
    »Da sind welche, aber die trauen sich nicht. Ihre Alten haben sie am Wickel. Da is der Paul Algeier, der stiert uns immer an, aber er sagt, sein Vater sagt, wo schon ’n Häufchenis, macht noch ’n Hund dazu, aber für uns springt nie was raus.«
    »Sag ihm, daß nur was rausspringt, wo was reinspringt, und er selbst muß rein.«
    »Der junge Merz, der is nicht dagegen, aber sein Vater sagt, nich um alles, wenn ihr sie auch schön eingemummelt habt, die drei Buchstaben, ›Soz‹, wenn ihr sie auch gut eingewickelt habt, nicht um alles, wo die drin sind.«
    »Mußt ihn fragen, ob er sie auf russisch haben will: seine zwei Pferde zuschanden ziehen, reihum vor allen Pflügen. Das, was geplant ist jetzt, ’ne Versammlung rundum, in jedes Dorf, wo ein Stützpunkt is, da mußt du auch reden. Hast ja auch Sonntag deinen Mund aufgemacht.«
    »Es is aber was Komisches dran, vor den eigenen Leuten.« Kunkel bereute sofort, daß er das zugestanden hatte. Er fürchtete bloß, Mühe an etwas Überflüssiges zu geben, mitten in der Ernte. Er dachte an das unbewegte Gesicht des alten Merz über seinem schweren Bart, an die großen, haarigen Nasenlöcher des Schüchlin, an den spitzigen Algeier. Unbehagen ergriff ihn, diese Versammlung könnte für ihn zumindest nutzlos verlaufen. Kößlin sagte: »Oberweilerbach liegt doch in Deutschland, nicht?« Kunkel sagte ganz erstaunt: »Ja, doch, dadrin liegt’s.« – »Schulden habt ihr hier nicht?« – »Doch, un ob.« – »Steuern keine?« – »Doch, un ob.« – »Juden habt ihr keine?«– »Doch, zwei von außerhalb. Den Naphtel und seinen Schwiegersohn.« – »Rote habt ihr keine?«

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