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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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näherzukommen, in Abstraktionen. Sie fragte sich, ob es an ihr lag oder an den Umständen, unter denen sie sich kennengelernt hatten.
    Oder ob es eine andere Ursache gab.
    „Bevor ich’s vergesse – könntest du später vielleicht mal nach meinem Notebook sehen. Es stürzt dauernd ab.“
    „Hast du dir einen Virus eingefangen?“
    „Keine Ahnung.“
    „Sicher. Ich seh’s mir an.“

3
    „Hi, Bro.“
    Diesmal erschrak ich nicht. Ich hatte mit ihr gerechnet, wenn ich auch nicht so weit gehen würde zu sagen, dass ich auf sie gewartet hatte. Seit Stunden schon, während das Flimmern vor meinen Augen allmählich unerträglich wurde und eisige Morgendämmerung ins Zimmer kroch. Sie kam meistens um diese Zeit. Im Zwielicht, wenn die Nacht bereits vorbei und der Tag noch nicht angebrochen war, schien sie sich am wohlsten zu fühlen. Sanft strich ihr Haar meinen Nacken entlang, während ich mich mühsam daran zu erinnern versuchte, welchen Tag wir hatten, oder wie viel Zeit ich am Computer verbracht hatte, seit Eva nach Hause gefahren war. Verschwommen nahm ich den Berg zerknüllter Notizzettel wahr, der sich rings um mich türmte. Der Bildschirm vor mir war schwarz.
    „Wir haben Freitag, Bro. Und du hast fast achtzig Stunden am Stück vor dieser Kiste gesessen. Wenn du mich fragst – du stehst kurz vor einem psychischen und physischen Zusammenbruch.“
    „Ich frage dich aber nicht.“
    „Und das Problem mit der Performance hast du immer noch nicht gelöst.“
    „Was verstehst du schon davon, Maya?“
    „Ich habe mich etwas in die Materie eingelesen, während du geschlafen hast.“
    Ich kämpfte dagegen an, konnte jedoch nicht verhindern, dass mir die Augen zufielen. Jedes Mal, wenn ich sie mühsam wieder öffnete, blickte ich in ihr ebenso spöttisches wie verführerisches Lächeln.
    „Ich habe nicht geschlafen.“
    „Und genau das ist dein Problem.“
    Wie immer schien sie recht zu behalten, denn wenig später waren meine letzten Kraftreserven erschöpft. Während ihr Blick, der nun Mitgefühl auszudrücken schien, noch immer auf mir ruhte, fand ich mich am Boden wieder. „Was willst du von mir, Maya?“ flüsterte ich.
    „Ich will dir nur helfen, Bro. Du wirst mir noch dankbar dafür sein.“
    „Du kannst mir nicht helfen.“ Undeutlich nahm ich wahr, wie ihre kühle Hand zärtlich über meine glühende Stirn strich.
    „Schlaf jetzt. Ich bleibe bei dir.“
    „Du solltest gehen. Es ist … nicht gut, wenn du hier bist“, versuchte ich zu protestieren, doch sie lächelte nur.
    „Ist es wegen deinem Shrink? Er hat dir eingeredet, dass ich nicht gut für dich bin, oder?“
    „Nein, Maya. Mit Dr. Elvert hat das nichts zu tun. Es ist wegen Eva. Es würde sie traurig machen.“
    „Du solltest diese Frau verlassen. Sie nimmt dir deine Kraft. Du hättest dich niemals auf sie einlassen dürfen – du weißt, was ich meine.“
    „Ich weiß, was du meinst …“, waren die letzten Worte, an die ich mich später erinnern würde, bevor eine tiefe, bleierne Dunkelheit mich umschloss.
    Nervös drückte Gustav Elvert auf die Hupe.
    Es war ihm bewusst, dass das nichts nützen würde, doch es war eine Möglichkeit, wenigstens ein kleines bisschen von dem Druck loszuwerden, der sich während der vergangenen zehn Minuten in ihm aufgestaut hatte. Zum zwanzigsten Mal sah er auf seine Armbanduhr. Zehn vor fünf, und die Böblinger Straße zwischen Kaltental und Waldeck war hoffnungslos verstopft. Er fragte sich, was der Grund dafür sein mochte. Ein Unfall? Eine Baustelle? Was auch immer es war – er würde Flügel brauchen, um rechtzeitig zu seinem Supervisionstermin in der Klinik zu sein. Gerade heute, wo es so viel zu besprechen gab! Von fern hörte er Sirenengeheul. Energisch rief er sich innerlich zur Ordnung. Es machte keinen Sinn, wenn er seine Kräfte damit vergeudete, sich über Dinge aufzuregen, die sich offensichtlich außerhalb seines Einflussbereiches befanden. Karin hatte recht. Er musste dringend an seiner Ungeduld arbeiten. Und am besten fing er sofort damit an. Er zwang sich zur Ruhe und begann, Details für die vor ihm liegende Sitzung – oder was davon übrig sein würde – zu planen. Als er es endlich zur Abzweigung Christian-Belser-Straße geschafft hatte, war er mit dem Plan für die Stunde durch – und die Uhr zeigte eine Minute vor fünf.
    Fünf Minuten nach fünf betrat er atemlos Karin Kutschers Zimmer, nasse Flecken zeigten sich unter seinen Achseln, was ihm über alle Maßen peinlich

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