Der Kreis aus Stein
Verteidiger von Longmot entwaffnet und ihnen ihre Rüstungen abgenommen hatte, waren weniger als vierhundert Mann übrig. Zu Raj Ahtens Freude waren die anderen alle umgekommen, entweder in der Schlacht oder durch seinen Schrei.
Die Salamander auf den Burgmauern hielten einen Augenblick lang inne und warfen sehnsüchtige Blicke auf die Gefangenen. Doch da die Schlacht gewonnen und keine weitere Beute zu erwarten war, begannen sie zu flimmern, bis ihre feurigen Umrisse nur noch Hitzeschlieren waren, dann waren sie wieder in die Unterwelt entschwunden, aus der man sie hervorgerufen hatte.
Eine ganze Weile stand Raj Ahten einfach nur da und betrachtete, seinen Sieg auskostend, das Bild, das sich ihm bot.
Er richtete eine einfache Botschaft an die Überlebenden. »Ich stelle Euch jetzt eine Frage. Dem Mann, der mir als erster eine Antwort gibt, schenke ich das Leben. Der Rest von euch wird sterben. Hier also meine Frage: Wo sind meine Zwingeisen?«
Man mußte ihnen hoch anrechnen, daß die meisten Ritter die Antwort verweigerten. Einige stießen Flüche aus, ein halbes Dutzend rief Dinge wie: »Verschwunden! Orden hat sie fortgebracht!«
Sechs Männer versuchten, sich ihr Leben zu erkaufen.
Einigen lief Blut aus den Ohren. Manche weinten. Andere waren junge Burschen, die noch nie einer Gefahr ins Gesicht gesehen hatten. Wieder andere waren vielleicht Familienväter, die sich um das Wohlergehen ihrer Frauen und Kinder sorgten. Einen grauhaarigen, alten Mann hielt Raj Ahten einfach nur für einen Feigling.
Raj Ahten rief sie nach vom, führte sie zur Zugbrücke, während seine Unbesiegbaren zur Hinrichtung vortraten.
»Einer von euch sechs«, sagte Raj Ahten, »hat euch das Leben gerettet, nur weiß ich noch nicht, wer von euch überleben wird. Vielleicht einer, vielleicht auch alle…«
Er wußte ganz genau, wer zuerst gesprochen hatte – der alte Feigling. Doch der wagte nicht, es zuzugeben. Raj Ahten wollte, daß sie alle antworteten. Er mußte wissen, ob der Verräter die Wahrheit sprach. »Daher muß ich euch noch eine weitere Frage stelle. Wohin hat er meine Zwingeisen bringen lassen?«
»Das wissen wir nicht. Seine Soldaten sind ohne ein Wort fortgeritten«, antworteten die Männer einstimmig.
Zwei hatten mit der Antwort gezögert. Raj Ahten sprang vor und schlug sie mit dem Säbel nieder, vielleicht mit ein wenig zuviel Begeisterung. Er hatte befürchtet, daß die Zwingeisen nicht mehr hier waren, daß dieser Angriff reine Zeitverschwendung war.
»Die Chancen steigen«, zischte er boshaft. Die vier verbliebenen Männer verfolgten das Geschehen mit Entsetzen.
Schweißperlen traten ihnen auf die Stirn. »Sagt mir, wann wurden die Zwingeisen fortgeschafft?«
Zwei weitere Männer zögerten. Ein junger Familienvater sagte: »Kurz nach unserer Ankunft.«
Ein vierter Mann nickte stumm zum Zeichen, daß er derselben Ansicht war, seine Augen glühten, dann verließ ihn plötzlich der Mut. Der ältere Mann, der Feigling. Er hatte zu spät den Mund aufgemacht, und er wußte es. Raj Ahten erschlug zwei weitere und ließ nur die beiden letzten Soldaten übrig. Einer der Verräter trug die Farben Longmots, ein Kommandant – vielleicht würde der Mann einen brauchbaren Spion abgeben. Der ältere Feigling war mit Schweinehäuten bekleidet, ein nach Wild stinkender Kerl aus den Wäldern. Raj Ahten nahm an, daß er seine Antworten gar nicht aus erster Hand hatte und ihm daher nichts anderes übrigbliebe, als allem beizupflichten.
»Wo steckt Gaborn Orden?« fragte Raj Ahten. Der Mann in den Schweinshäuten wußte keine Antwort. Der Wolflord sah es ihm im Gesicht an.
»Er ist beim Morgengrauen in die Burg geritten und hat sie kurz danach wieder verlassen«, antwortete der Kommandant von Longmot.
Von der Burg schallten die letzten gequälten Rufe der Gefangenen herüber, ihr Gestöhne, ihre Schreie. Der Alte in den Schweinehäuten wand sich. Er wußte, daß er an der Reihe war, der Kommandant dagegen schwitzte stark und keuchte.
Der Kommandant hatte den nach innen gerichteten Blick, den Männer mit Gewissen bekommen, wenn sie etwas Unrechtes tun. Raj Ahten traute ihm nicht zu, daß er noch eine Frage wahrheitsgemäß beantwortete. Man konnte einen Mann nur bis zu einer gewissen Grenze unter Druck setzen.
Er trat vor und schlug den Alten in den Schweinshäuten in zwei Hälften.
Nun spielte er mit dem Gedanken, auch den Kommandanten von Longmot zu töten. Er hatte keine Zeugen zurücklassen wollen, die das
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