Der Kreis aus Stein
ihres Vaters Kopf, wiegte ihn hin und her, fast blind für ihre Umgebung.
Nach einer ganzen Weile sah Iome auf. Sie beugte sich vor, um ihren Vater zum Abschied auf die Stirn zu küssen.
Sein Vater hatte sie zuletzt nicht mal erkannt, stellte Gaborn fest. Er hatte vergessen, daß es sie gab, oder hatte sie, ihrer Anmut beraubt, nicht wiedererkannt. Das war vielleicht der schlimmste Schlag.
Iome richtete sich auf, blickte den Hang hinunter zu ihren Rittern. »Laßt uns allein«, sagte sie mit der festesten Stimme, die sie zuwege brachte.
Eine beklemmende Stille breitete sich aus. Jemand hustete.
Herzog Groverman sah sie aus unerschrockenen Augen an.
»Meine Königin…«
»Es gibt nichts, was Ihr tun könnt. Es gibt nichts, was irgend jemand tun könnte!« sagte Iome. Gaborn sah, daß sie nicht den Mord meinte, nicht die Erfordernisse der Gerechtigkeit, sondern alles – Raj Ahten, diesen ganzen sinnlosen Krieg. Am meisten meinte sie den Tod.
»Diese Männer… es geht hier um Mord«, beharrte Groverman. »Das Geschlecht Orden sollte für diese Schmach bezahlen!« Einem uralten Gesetz zufolge war ein Lord verantwortlich für das Verhalten seiner Untergebenen, so wie ein Bauer für den von seiner Kuh angerichteten Schaden verantwortlich war. Nach dem Gesetz war Gaborn ebenso des Mordes schuldig wie Borenson.
»Gaborns Vater liegt hier zusammen mit zweitausend seiner besten Ritter«, erwiderte Iome. »Was verlangt Ihr vom Geschlecht der Orden noch?«
»Er ist nicht der Mörder – es ist der Ritter zu seinen Füßen, den wir wollen! Das ist eine Frage der Ehre!« schrie irgendein Edelmann, nachdem er ganz allein beschlossen hatte, daß Gaborn unschuldig sei. Gaborn kannte sein Wappen nicht, zwei Krähen und eine Eiche über dem Eber Sylvarrestas.
Iome rief: »Ihr sagt, die Ehre steht auf dem Spiel? Der Ritter zu Gaborns Füßen, Sir Borenson, hat mir gestern das Leben gerettet und meinem Vater auch. Er hat, um uns zu retten, vor Longmot einen Unbesiegbaren erschlagen. Und er hat seine Geisteskraft mit Raj Ahten gemessen und geholfen, den Schurken aus unserem Königreich zu jagen…«
»Hier geht’s um Mord!« schrie der Ritter und schwenkte die Axt. Doch Groverman hob seine Hand und brachte den Mann zum Schweigen.
»Ihr sagt«, stammelte Iome, »es sei eine Frage der Ehre, und vielleicht ist es das. König Orden, meines Vaters bester Freund, hat als erster unseren Tod befohlen.
Und wer von Euch will behaupten, daß er damit nicht recht hatte? Mein Vater und ich, wir waren Übereigner unseres geschworenen Feindes. Wer von euch hätte einen solchen Befehl mißachtet, wären unsere Rollen vertauscht gewesen?
Mein Vater hat Gaben an Raj Ahten abgetreten, im Glauben, dies sei eine Kleinigkeit – genau wie ich. Doch viele kleine Irrtümer können zu großem Unrecht führen. Ist es Mord, wenn dieser Ritter seine Feinde erschlägt, seine Befehle befolgt? Oder ist das ehrenhaft?«
Dann richtete Iome sich auf, die Hände blutverschmiert, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie stritt von ganzem Herzen für Borenson, und Gaborn fragte sich, ob er die Geistesgegenwart hätte, unter solchen Umständen dasselbe zu tun.
»Geht schon«, sagte Gaborn leise zu Borenson. Zu seiner Erleichterung stand der Mann auf, marschierte zu seinem Pferd und befolgte den Befehl ohne Murren.
Gaborn ging zu Iome, streifte seinen rechten Handschuh ab und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie wirkte so schmächtig, so zerbrechlich unter dem dünnen Baumwollstoff ihres Kleides. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sie dem Druck, der jetzt auf ihr lastete, länger standhielt.
Sie sah nicht mehr so schön aus wie der erste Stern des Abends. Sie sah auch nicht mehr elend aus. Ihre einzige Anmut war nun ihre eigene, und doch hätte Gaborn sie nicht mehr lieben können als in diesem Augenblick, hätte sich nicht mehr danach sehnen können, sie in den Armen zu halten als eben jetzt.
»Du sollst wissen, daß ich dich liebe«, sagte er. Iome nickte einmal, nur leicht. »Ich bin nach Heredon gekommen, weil ich um Eure Hand anhalten wollte, meine Dame.« Er sagte das nicht, um seine Gefühle für Iome zu bekräftigen. Er sagte dies ausschließlich zu ihrem Volk, damit es Bescheid wußte.
Mehrere Menschen aus der Menge zischten wütend, als sie das Eheversprechen hörten. Einige riefen lauthals: »Nein!«
Gaborn sah, daß er im Augenblick nicht gut angesehen war.
Diese Menschen hatten keine Ahnung, wie sehr er sich eingesetzt und für sie
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