Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
winkte ihm ein halbes Dutzend Hände entgegen. Interessiert betrachtete David die eigentümlichen Gebäude. Die hölzernen Scheunen, Ställe und Wohnhäuser, die sich um einen sandsteingelben Innenhof gruppierten, erinnerten an englische Farmbauten des letzten Jahrhunderts, aber die Sonnenkollektoren, Antennen und Satellitenschüsseln auf ihnen schienen eher zu einer modernen wissenschaftlichen Forschungsstation zu gehören.
Ein oder zwei Minuten später landete die Beechcraft Baron sicher auf einer Piste. Mia atmete hörbar auf.
»Willkommen auf Billabong Meadows«, sagte Davy, als die Rotoren endlich schwiegen und er sich die Kopfhörer abgesetzt hatte. Neben einem Hangar stand ein Range Rover und davor ein stämmiger Mann mit einem breitrandigen Hut. Davy deutete aus dem Fenster. »Das ist Bruce, mein Verwalter. Ich habe ihn gebeten, uns abzuholen.«
Bruce Fraser war um die fünfzig, mittelgroß und von stämmiger Statur, hatte einen Stoppelbart, ein braun gebranntes, wettergegerbtes Gesicht sowie einen mächtigen Händedruck. Sein graues Haar quoll unter dem speckigen braunen Lederhut wie Reisig hervor. In seinen abgewetzten Bluejeans und dem rot-schwarz karierten Flanellhemd sah er nicht gerade wie der Herr über sechzigtausend blökende Schafe und Sachwalter einer reichen Opalmine aus. Er war das, was Davy einen Dinkum Aussie nannte, einer jener typischen Australier, die hauptsächlich im Outback, den menschenleeren Wüsten und Steppen Inneraustraliens lebten. Verglichen mit anderen Regionen des nur von knapp neunzehn Millionen Menschen bewohnten Kontinents war Neusüdwales geradezu dicht besiedelt. Die nächste Suburbia vor den westlichen Toren von Billabong Meadows war Broken Hill, eine ehemalige Bergbaustadt. Ihren Hauch von Zivilisation verdankte sie hauptsächlich der Eisenbahn, die regelmäßig Touristen von der Küstenregion herbrachte.
Davy begrüßte den Verwalter ungewöhnlich herzlich: Die beiden Männer umarmten sich wie alte Kriegskameraden. Seine diesbezügliche Erklärung fiel dann aber nicht ganz plausibel aus: Er habe Bruce fünf Tage lang nicht mehr gesehen, im Büro in Sydney sei er mit Arbeit eingedeckt gewesen.
Auf der Fahrt zum knapp zwei Kilometer entfernten Farmkomplex informierte Fraser seinen jungen Boss über die wichtigen und einige weniger wichtige Neuigkeiten.
»Am Ausfluss des Menindee Lake ist ein Dingo aufs Farmgelände geschlüpft, ein alter Einzelgänger mit Zahnausfall. Hat trotzdem dreißig Schafe gerissen, bevor er in eine Schrotladung gelaufen ist.«
»Wie konnte das passieren?«, fragte Davy ernst.
Fraser patschte mit seiner Rechten auf das Lenkrad des Geländewagens. »Das Übliche: Jemand hat eine Pforte im Zaun offen gelassen.«
Der junge Farmbesitzer schüttelte ärgerlich den Kopf und drehte sich zu seinen beiden Gästen auf dem Rücksitz um. »Es kostet vierhundert Dollar Strafe, die Türen in den Dingozäunen offen stehen zu lassen, und trotzdem kommt es immer wieder vor. In den meisten Fällen sind gedankenlose Touristen daran schuld.«
Der Geländewagen blieb auf dem gelb geschotterten Hof vor dem zweigeschossigen Farmhaus stehen. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich ein Pferdestall und eine Scheune. Vervollständigt wurde das Hufeisen durch flache Holzhäuser. Alle Gebäude waren einheitlich in Rot gehalten. Davy sprang aus dem Wagen und riss für Mia die Tür auf.
»Noch einmal: Willkommen.« Er grinste über das ganze Gesicht.
Mia glitt, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, an dem bärtigen Abenteurer vorbei aus dem Wagen.
»Bestimmt wollen Sie sich zuerst frisch machen«, sagte Davy zu seinen beiden Gästen. »Wenn Sie einverstanden sind, lasse ich Sie in einer Stunde abholen. Dann können wir in medias res gehen.«
»Das wäre mir sehr lieb«, antwortete David, während sich Mia, glockenhell lachend, von dem Verwalter ins Haus führen ließ.
Davy blickte dem Paar kopfschüttelnd nach. »Ihre Enkelin bestätigt wieder einmal meine Vorurteile über die Frauen.«
David runzelte fragend die Stirn.
Der Hacker lächelte linkisch. »Sie sind zauberhafte Wesen: wunderschön und absolut unbegreiflich.«
David und Mia bewohnten eine geräumige Zimmerflucht, bestehend aus zwei Schlafräumen mit angeschlossenen Bädern, einem gemütlichen Wohnzimmer im Landhausstil und einer Terrasse, die in den Garten hinter dem Haus führte. Nach einer guten Stunde klopfte es energisch an der Tür, und als Mia öffnete, blickte sie überrascht in
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