Der Krieg am Ende der Welt
irgendwann setzt ihm einer das Jagdmesser an die Kehle. Zuletzt wird das Verhör ein Gespräch. Rufino verbringt die Nacht bei ihnen und hört sie vom Antichrist reden, vom guten Jesus, vom Ratgeber, von Belo Monte. Erhört, daß sie getötet, geraubt, immer auf dem Sprung gelebt haben, jetzt aber Heilige sind. Sie berichten ihm, daß ein Heer anrückt wie eine Pest, daß es den Leuten die Waffen beschlagnahmt, Männer mitnimmt und jeden, der sich weigert, auf das Kruzifix zu speien und Christus zu verhöhnen, den Hals abschneidet. Als sie ihn fragen, ob er nicht mit ihnen gehen will, antwortet Rufino nein. Er erklärt ihnen, warum, und sie verstehen.
Am nächsten Morgen kommt er fast zur selben Zeit wie die Soldaten in Cansanção an. Rufino sucht einen Schmied auf, den er kennt. Der Mann neben der funkensprühenden Esse rät ihm, so schnell wie möglich wieder fortzugehen, denn die Teufel zögen alle Spurenleser gewaltsam ein. Als ihm Rufino erklärt, versteht auch er. Ja, er kann ihm helfen: vor kurzem ist Barbadura hier durchgekommen, er ist den von ihm Gesuchten begegnet. Und er hat ihm von dem Ausländer erzählt, der Köpfe liest. Wo ist er ihnen begegnet? Der Schmied sagt es ihm, und der Spurenleser bleibt in der Schmiede, plaudernd, bis es Nacht wird. Dann verläßt er das Dorf, ohne daß ihn die Posten entdecken, und ein paar Stunden später begegnet er wieder den Aposteln aus Belo Monte. Er sagt ihnen, daß, in der Tat, der Krieg nach Cansanção gekommen ist.
Doktor Souza Ferreiro befeuchtete die Gefäße mit Alkohol und reichte sie Baronin Estela, die sich ein Taschentuch als Häubchen auf den Kopf gelegt hatte. Sie zündete das Gefäß an und stülpte es dem Oberst geschickt auf den Rücken. Der lag so ruhig, daß die Laken kaum Falten zeigten.
»Hier in Calumbí habe ich oft Arzt und Hebamme spielen müssen«, sagte die singende Stimme, vielleicht zum Doktor, vielleicht zum Kranken hin. »Aber Schröpfköpfe habe ich wirklich seit Jahren nicht mehr gesetzt. Tu ich Ihnen weh, Oberst?«
»Ganz und gar nicht, Senhora«, Moreira César versuchte angestrengt, sein Unbehagen zu verbergen, doch es gelang ihm nicht. »Ich bitte Sie wie auch Ihren Gatten um Entschuldigung für den Überfall. Es war nicht meine Idee.«
»Wir sind entzückt über Ihren Besuch.« Die Baronin hatte denletzten Schröpfkopf gesetzt und schüttelte die Kissen auf. »Ich hatte mich so drauf gefreut, einen Helden in Fleisch und Blut kennenzulernen. Gut, natürlich hätte ich es lieber gesehen, wenn Sie nicht einer Krankheit wegen nach Calumbí gekommen wären ...«
Ihre Stimme klang liebenswürdig, bezaubernd, oberflächlich. Auf einem Tisch am Bett standen Krüge und Waschschüsseln aus Porzellan, mit Pfauen bemalt, Mullbinden, Watte, ein Gefäß mit Blutegeln, eines für die Schröpfköpfe und viele Salbentöpfe. Durch die weißen Vorhänge drang das Morgenlicht in das saubere, kühle Zimmer. Sebastiana, die Kammerfrau der Baronin, stand bewegungslos neben der Tür. Doktor Souza Ferreiro untersuchte den mit Glasbehältern bestückten Rücken des Kranken. Seinen Augen war eine Nacht ohne Schlaf anzusehen.
»Gut, jetzt eine halbe Stunde warten, dann das Bad und die Abreibungen. Sie werden mir nicht abstreiten, daß Sie sich besser fühlen, Exzellenz: Sie haben wieder Farbe.«
»Das Bad ist fertig, und ich bin da für alles, was Sie brauchen«, sagte Sebastiana.
»Ich stehe ebenfalls zu Diensten«, schloß sich die Baronin an.
»Ich verlasse Sie jetzt. Ah, ich habe vergessen. Ich habe den Doktor um die Erlaubnis gebeten, daß Sie mit uns Tee trinken dürfen, Oberst. Mein Mann möchte Sie begrüßen. Auch Sie sind eingeladen, Doktor. Und Hauptmann Olimpio de Castro auch und dieser originelle junge Mann, wie heißt er noch?«
Der Oberst versuchte ihr zuzulächeln, aber kaum hatte die Frau des Barons de Canabrava, gefolgt von Sebastiana, die Schwelle überschritten, herrschte er den Arzt an:
»Ich sollte Sie dafür erschießen lassen, daß Sie mich in diese Falle gebracht haben.«
»Wenn Sie einen Wutanfall bekommen, werde ich Sie zur Ader lassen, und Sie werden einen Tag länger im Bett liegen.« Doktor Souza Ferreiro ließ sich in einen Schaukelstuhl fallen, todmüde. »Und lassen Sie auch mich jetzt eine halbe Stunde ausruhen. Rühren Sie sich bitte nicht.«
Nach genau einer halben Stunde schlug er die Augen auf, rieb sie sich und begann dem Oberst die Schröpfköpfe abzunehmen. Die Gefäße lösten sich leicht; wo sie
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