Der Krieg der Trolle
Geschichten, die er über Kämpfe mit furchtbaren Achtbeinern tief in den Höhlen unter Wlachkis erzählt hatte, waren auch deshalb so Furcht einflößend gewesen, weil sie wahr klangen. Und weil Artaynis selbst als Kind die Angst in den Augen ihres Vaters hatte sehen können, eine Angst, die von Erinnerungen herrührte.
Über die Sorkaten zogen nun helle Wolken, und der kühle Wind versprach bereits vor dem Abend Regen. Aber noch war der Himmel über ihnen größtenteils blau, und die Sonne schien. Auch Artaynis schlüpfte aus ihren Schuhen und kühlte ihre Füße. Sie legten sich auf die Wiese, die von dunklen Nadelbäumen eingerahmt wurde und über der Insekten eifrig summten, und für eine Weile vergaßen sie alles um sich herum. Artaynis war froh, ausnahmsweise nicht über all die Probleme sprechen zu müssen, die die Verwaltung des Mardews mit sich brachte, und Ionnis schien es ebenso zu gehen.
Erst als sich die Wolkendecke über ihnen schloss und die Sonne und damit auch die Wärme verschwand, erhoben sie sich wieder. Ionnis nahm Artaynis in den Arm und küsste sie sanft.
» Wir sollten zurück nach Désa«, murmelte er. » Es wird schlechtes Wetter geben.«
Hier, im wlachkischen Hochland, waren Wetterumschwünge keine Seltenheit. Artaynis hatte früher geglaubt, das Klima in Teremi sei unangenehm und kalt, aber da hatte sie noch nicht das Mardew gekannt. Die raue Landschaft mochte einen ganz eigenen Reiz haben, und inzwischen konnte die junge Dyrierin sogar eine gewisse Schönheit in ihr sehen, wo sie vorher nur das Gefühl gehabt hatte, von der Natur selbst abgewiesen zu werden. Aber an das Wetter konnte sie sich nicht gewöhnen, und sie tolerierte es nur Ionnis’ wegen. Solange es Natioles Wunsch war, dass Ionnis als sein Statthalter in Désa regierte, mussten sie hierbleiben, doch Artaynis freute sich schon auf den Tag, da der Bruder ihres Mannes diese Aufgabe beenden würde.
Sie machten ihre Pferde los und begaben sich langsam auf den Rückweg. Das erste Stück des Weges führten sie die Tiere an den Zügeln. Der weiteste Teil des Mardews bestand aus grasbewachsenen Hochebenen; nur an den Flanken der Berge gab es die sonst in Wlachkis so dichten Wälder. Das Land war karg und felsig und kaum zu bestellen.
» Wann, denkst du, wird Natiole uns wieder nach Teremi rufen?«
» Wenn er es für richtig hält«, erwiderte Ionnis ausweichend. Er mochte es nicht, wenn sie darüber sprachen, denn er wusste von ihrem Heimweh, und er teilte es sogar, fühlte sich aber seinem Bruder verpflichtet.
» Er hat doch genug fähige und loyale Untergebene, denen er das Zepter von Désa in die Hand drücken könnte. Es ist ja nicht gerade so, als ob das Mardew der Nabel der Welt wäre – oder auch nur von Wlachkis. Wäre es nicht viel wichtiger, vertrauenswürdige Gesandte in Dyria zu haben? Immerhin sichert der Handel mit dem Imperium den Reichtum und auch den Frieden im Land zwischen den Bergen.«
Ionnis antwortete nicht, sondern lächelte sie nur an, aber Artaynis spürte, dass er ihr insgeheim zustimmte. Er liebte die dyrische Lebensart und hatte viel Zeit im Imperium verbracht. Als dem jüngeren Sohn war es ihm nie bestimmt gewesen, in Wlachkis zu herrschen, und seine Eltern hatten ihn früh in Sargans Obhut gegeben, um die Verbindung zwischen den Wlachaken und dem Dyrischen Imperium zu stärken. Nun war er hin und her gerissen zwischen seinen eigenen Wünschen und denen seines Bruders.
Einige Raben erhoben sich laut krächzend in die Lüfte, und Artaynis folgte dem Flug der Vögel mit ihrem Blick.
Unvermittelt ertönte ein lautes Donnern.
Für einen Herzschlag dachte die junge Dyrierin, ein Gewitter würde über sie hereinbrechen, aber dann spürte sie ein Zittern im Boden, das ihre Beine hinaufwanderte und sich schließlich in ihrer Magengrube festsetzte. Ein Zittern, das sie schwindlig werden ließ und ihr Übelkeit verursachte.
» Was, bei den Geistern …«, rief Ionnis, als die Erde unter ihnen plötzlich bebte. Nur mit Mühe gelang es Artaynis, auf den Beinen zu bleiben. Hazra riss sich los und galoppierte mit wehender Mähne davon, und auch Ionnis’ Hengst tänzelte mit vor Angst geweiteten Augen und geblähten Nüstern zur Seite.
» Ein Erdbeben«, entfuhr es Artaynis. Die Bäume in ihrer Nähe wurden von den Stößen durchgeschüttelt, bis der erste laut knackend und krachend umstürzte. Staub wallte auf. » Wir müssen hier weg!«
Ionnis folgte ihr den Weg hinab, fort von den Bäumen, die sich
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