Der Krieg der Trolle
Gebrüll, das mehr nach Tieren als nach Menschen klang, und dazwischen die verzweifelten Rufe jener, die in der Stadt ausgeharrt hatten. Sie haben darauf vertraut, dass ich sie beschütze. Und ich habe sie im Stich gelassen.
Seit der Erstürmung der Mauer waren zwei Tage vergangen. Natiole hatte damit gerechnet, dass die Angreifer sehr bald mit dem Sturm auf die Festung beginnen würden, doch stattdessen hatte Ionnis seinen Soldaten in der Stadt freie Hand gewährt. Die Berichte über das, was die Sieger in Teremi anrichteten, klangen wie alte Erzählungen über die Zeit, als die Masriden bei ihren Eroberungen gewütet hatten. Natiole hätte niemals geglaubt, dass Wlachaken untereinander zu Derartigem fähig sein könnten, doch der Anblick seiner brennenden Stadt belehrte ihn eines Besseren.
Falls es Ionnis darum ging, die Moral der letzten Verteidiger zu schwächen, so hatte er großen Erfolg. Tagsüber konnte Natiole es in ihren Mienen lesen. Knapp dreihundert Krieger waren ihm geblieben, dreihundert, die entkommen waren, als Ionnis’ Truppen sich in die Stadt ergossen. Hätten die Feinde nicht sofort mit den Plünderungen begonnen, wären es sicherlich noch weniger gewesen. So aber hatten sich viele in dem Chaos der Eroberung bis zur Burg durchschlagen können.
Mit weniger als dreihundert Waffenträgern war die Feste nicht gegen die Angreifer zu halten. Natiole wusste das – jeder wusste das. Sie harrten nur noch aus, weil sie an ein Wunder glaubten. » Ana wird kommen«, hatte Natiole die Menschen flüstern hören. Sein Mund verzog sich zu einem finsteren Lächeln. Von der verhassten Masridenfürstin zur letzten Hoffnung in nur einem Tag.
Er wusste es besser, obwohl auch er seit dem Angriff keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt hatte. Sie selbst kämpfte gegen aufständische Masriden, die letzten Nachkommen ihrer alten Häuser. Dass sich dieser Konflikt gerade jetzt erneut entzündet hatte, konnte kein Zufall sein. Natiole vermutete, dass ihre Feinde auch dort ihre Finger im Spiel hatten. Finger? Oder Klauen?
Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit, gesellte sich zu ihm. Für einen Augenblick hoffte er, dass es Camila sein würde, doch es war Radu, der sich neben ihm auf die Brustwehr stützte und in die Stadt hinabsah.
» Das ist Wahnsinn«, flüsterte der junge Wlachake. Dabei zitterte er leicht, als würde er frieren, obwohl die Nacht mild war.
» Sie wollte ein Exempel statuieren. Es gibt sonst keinen Grund, die Stadt so zu verwüsten. Falls Ionnis wirklich hier herrschen will …«
Natiole sprach nicht weiter. Häufig überlagerten sich seine Gedanken. Manchmal hasste er seinen Bruder, verfluchte ihn voller Wut, dann wieder sorgte er sich um ihn. Zuweilen konnte er nicht trennen zwischen dem Ionnis, den er kannte, und dem, der dort unten diese Soldaten befehligte. Das ist nicht sein Werk, sagte sich Natiole oft genug selbst, doch es fiel ihm schwerer und schwerer, es zu glauben.
» Wie lange wird das noch gehen?«
Natiole zuckte mit den Schultern. Sie saßen hier oben in der Feste eingeschlossen und waren dementsprechend kaum eine Bedrohung für Ionnis’ Armee. Ihre Feinde hatten alle Zeit der Welt.
Radu seufzte und sah zum sternenklaren Himmel empor. Im fahlen Mondlicht wirkte sein Gesicht gespenstisch weiß.
» Du solltest schlafen«, befand Natiole. » Vielleicht greifen sie mit dem Sonnenaufgang an, und dann müssen wir so ausgeruht sein wie möglich.«
» Und du?«
Natiole schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. » Ich kann nicht schlafen. Nicht, wenn ich weiß, was dort unten passiert. Ich werde diese Schreie für den Rest meines Lebens nicht mehr loswerden, auch wenn das nicht mehr lange sein mag. Das alles … Ich …«
» Es ist nicht deine Schuld!«, fuhr Radu auf.
» Ich bin der Voivode. Meine Pflicht ist es, mein Volk zu schützen. Ich bin daran gescheitert, Radu, egal, wie man es dreht und wendet. Die Menschen haben zu mir aufgesehen, weil ich der Sohn meiner Eltern bin, aber ich habe sie enttäuscht.«
Natiole verstummte. Euch alle, dachte er grimmig. Die Menschen von Teremi. Und meine Eltern, meine ganze Familie, unser Haus. So lange haben meine Leute ausgeharrt, den Masriden getrotzt, Frieden mit den Trollen geschlossen und die Invasion des Dyrischen Imperiums abgewehrt. Und schon nach so wenigen Jahren meiner Herrschaft ist alles dahin.
» Du hast gekämpft wie ein Löwe«, sagte Radu leise. » Niemand wird dir einen Vorwurf machen. Niemand kann
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