Der Krieg der Trolle
dann wurde sie langsamer, bis sie schließlich stehen blieb und die Augen schloss. In der Dunkelheit wäre das nicht nötig gewesen, aber es half ihr, sich zu konzentrieren. Vor ihrem inneren Auge flogen die Räume vorbei, durch die sie gelaufen war. Ein alter Trick ihres Vaters half ihr jetzt; durch ihre Bemühungen, die Kellerräume mit denen im Palast ihrer Eltern zu verbinden, fiel es ihr leichter, sich an die Anordnung und die Wege zu erinnern.
Sie ging langsam weiter. Ab jetzt war jeder Fehler gefährlich. Sollte sie sich verirren, wäre sie ohne Licht in den Kellern gefangen. Dementsprechend bewegte sie sich sehr darauf bedacht, ihren Weg nicht zu verlieren.
In der Dunkelheit verlor sie jedes Zeitgefühl. Manchmal hallte ein Ruf durch die Keller, aber meist war es still. So dunkel und still, wie es unter der Welt sein musste, in der Heimat der Trolle.
Erst, als sie wieder vor sich Licht sehen konnte, kehrte ihr Gefühl für Zeit und Raum zurück. Sie hatte sich nahe an den Ausgang vorgearbeitet, bis zu den großen Hallen. Noch konnte sie erst vage Umrisse erkennen, aber je näher sie dem Ausgang kam, desto mehr Details wurden sichtbar.
Eine Handvoll Wlachaken stand im ersten Kellerraum. Sie hatten Laternen um sich verteilt und unterhielten sich leise. Der Weg in die Freiheit lag direkt hinter ihnen, doch Artaynis konnte nicht hoffen, an ihnen vorbeizukommen. Also gab es nur eines zu tun.
Sie schlich sich an den Durchgang zu dem Raum heran, drückte sich links daneben gegen die Wand. Dann holte sie einen alten rostigen Nagel aus ihrer Hosentasche hervor, atmete tief durch und schleuderte ihn mit einer schnellen Bewegung aus dem Handgelenk an den Soldaten vorbei durch den Kellerraum und in den dahinter. Sie konnte nicht um die Ecke schauen, ohne zu riskieren, entdeckt zu werden, also musste sie sich dabei auf ihr Geschick verlassen. Sie presste die Lippen zusammen, während sie wartete, dann ertönte ein helles Klingen.
» Was war das?«
Die Frage war genau, was Artaynis sich erhofft hatte. An dem Lichtschein konnte sie erkennen, dass die Wachen sich bewegten. Sie riefen in die Dunkelheit, und als sie keine Antwort bekamen, gingen sie weiter. Artaynis wartete noch zwei Herzschläge lang, dann warf sie einen schnellen Blick um die Ecke. Die Soldaten gingen in den nächsten Raum, die Laternen erhoben, und machten dabei genug Lärm. Sie achteten nicht auf den Keller hinter sich, also nutzte Artaynis den Moment, um durch ihn hindurchzuschleichen.
Jetzt musste sie nur noch wieder hoch, die Keller hinter sich lassen, und versuchen, unbemerkt in ihre Gemächer zu kommen. Nach der Jagd durch die finsteren Tunnel schien ihr das eine Leichtes.
Bis sie jemanden die Treppe herabsteigen sah. Hohe Lederstiefel, ein Schwert am Gürtel.
Sie zog sich zurück. Verdammter Mist, dachte sie. Hätte ich nicht wenigstens noch ein Quäntchen Glück verdient?
Als sich die Schritte näherten, blickte sie sich hastig um. Alle Verstecke im Kellerraum waren zu weit weg. Also duckte sie sich an die Wand und hoffte, dass die Person einfach an ihr vorbeigehen würde. Sie zog den dünnen Stoffschal, den sie um ihren Hals gewickelt hatte, hoch bis über ihre Nase und den Haarknoten an ihrem Hinterkopf.
Mit einem Mal war sie ganz ruhig. Es gab nichts mehr zu tun, alles Weitere lag außerhalb ihrer Macht. Ein außergewöhnlicher Moment der Klarheit kam über sie. Das Licht der Laterne schien hell neben ihr, ein Arm folgte, eine Schulter, dann die restliche Gestalt. Artaynis hatte ihre Augen zu schmalen Schlitzen geschlossen. Es war eine Soldatin in einer einfachen, abgeschabten Lederrüstung, die an ihr vorbeiging. Sie kam ihr bekannt vor, und nach einem Moment wusste Artaynis, woher. Du warst bei Octrean, du bist die Soldatin, die ihm Befehle erteilt!
Als hätte sie die Gedanken der jungen Dyrierin gehört, wandte die Frau ruckartig den Kopf um.
Artaynis handelte, ohne nachzudenken. Sie stieß sich von der Wand ab, wirbelte herum und riss ihr Bein hoch. Der Spann ihres Fußes traf die Frau seitlich am Kopf. Der Aufprall warf die Soldatin gegen die Wand, ihr Gesicht schlug gegen den kalten Fels. Sie verdrehte die Augen, dann rutschte sie reglos an der Wand herab. All das hatte kaum mehr als einen Herzschlag gedauert. Die Laterne fiel aus ihren kraftlosen Händen, schepperte auf den Boden.
» Wer bist du?«, flüsterte Artaynis. Sie kniete sich neben die Gestürzte. Ihre Hände glitten über deren Kleidung, suchten nach Hinweisen.
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