Der Krieger und der Prinz
bis Leferic kaum noch die Titel lesen konnte, die sie einst so stolz geziert hatten. Andere Bücher hatte er persönlich erworben und unter großen Kosten aus Calantyr und Mirhain kommen lassen, und in ein oder zwei Fällen waren es sogar kostbare Bände aus den Skriptorien des Ardasischen Reiches.
Die meisten waren in Leder gebunden, rot oder grün gefärbt und mit flach geschlagenem Goldblatt verziert. Einige waren aus stärkeren Materialien gefertigt: dünn geschnittenes Vehrholz, dunkel wie bitterer Tee; gepresste und gewebte Blätter, die noch immer einen Hauch von Nebaioths sonnigem Duft in sich trugen; eines war mit etwas bedeckt, von dem der Händler geschworen hatte, es sei Drachenhaut, obwohl Leferic argwöhnte, dass die Schuppen in Wirklichkeit von einem der großen, goldenen Krokodile des Bitterwassers stammten.
Die Bücher enthielten die gesammelte Weisheit der Welt. Überlegungen von Gelehrten, deren Knochen längst zu Staub zerfallen waren, obwohl ihre Gedanken in den Seiten weiterlebten; historische Berichte von Ländern, die auf keiner Karte mehr zu finden waren; Geheimnisse großer Religionen und kleinerer, grausamer Geheimkulte. Leferic besaß fast dreihundert Bücher. Er wusste ohne falschen Stolz, dass die nächste ähnlich gut sortierte Bibliothek erst wieder in Felsenhügel zu finden war. Sie war das Prächtigste, was er im Leben besaß. Doch in keinem der Bücher stand irgendetwas, das ihm jetzt weiterhelfen konnte.
In seiner ganzen Bibliothek war nichts zu finden, das einem Usurpator Anweisung gab, der um des Thrones willen seinen Bruder und seinen Neffen ermordet hatte. Nicht, dass es nicht schon getan worden wäre – die Chroniken waren voll von dieser blutigen Geschichte, durch die Epochen immer wieder neu erzählt, in einem Dutzend Länder, in hundert Burgen –, aber eingestanden hatte es niemand. Keiner derer, die ihren Thron behalten hatten. Einzig die Fehlschläge waren verzeichnet, die ordentlich Verurteilten, und er hatte sich diese Lektionen bereits eingeprägt, bevor er den ersten Schritt seines Planes ausgeführt hatte.
In diesem Moment vermisste er Albric zutiefst. Der lakonische Schwertmeister hätte sich geduldig Leferics Zweifel angehört und ihm geholfen, einen Weg durch das Labyrinth zur richtigen Lösung zu finden. Ohne ihn war Leferic verloren.
Er wollte keinen Krieg. Das wusste er mit Bestimmtheit.
Krieg war eine Krankheit in den Grenzfesten. Von Zeit zu Zeit loderte er auf, und das Fieber befiel ganz Eichenharn und Langmyr; große Armeen wurden zusammengezogen, die am Fluss aufeinanderprallten und das Wasser rot färbten. Aber Lords, die weiter von den Gestaden des Seivern entfernt lebten, hatten den Luxus, sich zurückziehen zu können, wenn ihre Armeen erschöpft waren. Sie brauchten nicht auf ihren eigenen Feldern zu kämpfen; sie brauchten nicht zuzusehen, wie bei feindlichen Überfällen die Häuser ihrer Bauern verbrannten oder wie vorüberziehende Horden das Korn in ihren Kammern plünderten. Sie konnten nach Hause gehen, und dann konnten sie die Gewalt hinter sich lassen.
Sie würden sie in einem Bullenmark zurücklassen, das niedergebrannt und zertrampelt war und aus tausend frischen Wunden blutete. Sie hatten es wieder und wieder getan, über eine lange Zeit hinweg bis zurück zu Uvarrics Torheit. Das war die Wurzel des Hasses. Er hatte seither hundert verschiedene Zweige getrieben, ein jeder gebeugt unter der Last giftiger Früchte, aber alle Feindschaft zwischen Eichenharn und Langmyr ging auf Uvarrics Torheit zurück. Auf Macht und die Gier nach Macht. Dieselbe Gier, die Leferic verspürte … aber Uvarric hatte um seiner Gier willen niemals eine so schwerwiegende Sünde wie Brudermord begangen, und er hatte einen weitaus höheren Preis bezahlt, als Leferic zu zahlen beabsichtigte.
Vor über einem Jahrhundert waren die Sonnengefallenen Königreiche von der Rotspinnenpest heimgesucht worden, die ihre Bewohner dezimiert hatte. Edelleute und Bauern waren gleichermaßen der Krankheit zum Opfer gefallen, und der Tod hatte sich wie ein rotes Spinnennetz auf ihrer Haut eingeschrieben. Manche Menschen sagten, sie sei eine Geißel der Götter gewesen, ausgesandt, um Sünder zu bestrafen, aber nur wenige glaubten das wirklich. Die Rotspinnenpest tötete ohne Unterschied Junge und Alte, Unschuldige und Mörder.
Sie hatte auch keinen Respekt vor höherer Geburt. In einem einzigen Sommer hatte die Pest eine der größten und reichsten Adelsfamilien in Langmyr
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