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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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ihm einfach verzeihen musste. »Komm her, du dummes Ding.«
    »Mylord.« Sie machte einen Knicks, unbeholfen wegen des Brotkorbs, den sie noch in Händen hielt. Ihr Mangel an Anmut trieb ihr die Röte in die Wangen. Sie konnte nicht sagen, warum es ihr geziemend erschien, einen Knicks zu machen oder ihm einen Titel zuzusprechen, aber so war es. Seine Kleidung war nicht besonders vornehm, und er trug weder den Ring eines Lords noch ein Rittermedaillon, aber der Ehrentitel schien zu passen. Er verbreitete diese Aura.
    »Oh, sei nicht so förmlich. Hast du Zeit, dich für ein Weilchen zu mir zu setzen und mit mir zu reden?« Er deutete auf einen freien Stuhl. Neben ihm, nicht auf der anderen Seite des Tischs.
    »Ich bin mitten in den Morgenauslieferungen, Mylord …«
    »Ich halte dich nicht lange auf. Einen Augenblick nur. Ich habe gehofft, ein wenig mehr über dich in Erfahrung zu bringen. Selbst wenn es nur dein Name ist.« Er lächelte wieder, klopfte auf die Sitzfläche des freien Stuhls und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
    Seltsam benommen ging sie zu ihm und ließ sich auf den angebotenen Stuhl sinken wie in einem Traum. Es war Vormittag, und in der Bäckerei warteten noch fünf volle Körbe auf sie; aber irgendwie waren Mathas’ Enttäuschung und die Ungeduld der Kunden bedeutungslos angesichts des Lächelns des Fremden. Odosse rückte das Leinenband auf ihrem Haar zurecht und versuchte, ihre Röcke zu glätten, als würde sie das in seinen Augen hübscher machen.
    »Mein Name, Mylord?«
    »Ja.« Er verströmte einen kaum wahrnehmbaren Geruch: moschusartig und würzig, berauschender als Wein. Der Duft erinnerte sie an die Fläschchen mit den Ölen und Harzen in der Hütte der Amulettmacherin, ein jedes beschriftet wie ein Trank aus einem Märchen. Eine Erinnerung regte sich in ihr, aber der Gedanke wurde schnell von der Macht seiner Gegenwart überlagert. Odosse wünschte sich nichts anderes, als seine Nähe zu genießen.
    »Odosse«, hauchte sie und beugte sich näher zu ihm hinüber, wie von unsichtbaren Schnüren gezogen.
    »Ein Name, so liebreizend wie du selbst.« Er legte ihr einen Finger unters Kinn, zog sie noch näher heran und hob ihr Gesicht an, sodass sich ihre Blicke trafen.
    Odosse leistete keinen Widerstand, aber seine Worte trafen sie wie ein Eimer eisigen Wassers. Ein anderes, hübscheres Mädchen hätte sich vielleicht geschmeichelt gefühlt. Und vielleicht hätte es sie erregen sollen, dass ein so schöner Mann ihr Komplimente machte. Aber sie verspürte nur Verlegenheit und einen beginnenden Zorn, denn das hier war vollkommen falsch, und sie war so ungeheuer dumm gewesen, dass sie es nicht erkannt hatte.
    Gut aussehende Männer fanden kein Interesse an ihr, es sei denn, um sie später zu verhöhnen. Davon hatte sie in Weidenfeld genug gehabt. Die Dorfjungen hatten sie zur Zielscheibe so vieler Scherze gemacht, dass sie nicht mehr hatte mitzählen können. Und nicht nur die gut Aussehenden: Die Reizlosen hatten eingestimmt, als sie erkannt hatten, wie viel Spaß sie dabei haben konnten. Die meisten ihrer Streiche hatten genau wie dieser begonnen: mit geheucheltem Interesse und Schmeichelei, damit sie in ihrer Wachsamkeit nachließ. Selbst Coumyn, der einzige Junge, von dem sie geglaubt hatte, er sei vielleicht anders, der, von dem sie geglaubt hatte, dass er sie vielleicht wirklich liebte, hatte das Gleiche getan. Dieser eine schmerzte mehr als alle übrigen zusammengenommen. Sie hatte ihm geglaubt.
    Odosse hatte gedacht, dass erwachsene Männer über derart schäbigen Grausamkeiten stünden. Offensichtlich hatte sie sich geirrt. Die Wärme, die sie für ihn empfunden hatte, verflüchtigte sich und hinterließ an ihrer Stelle Argwohn und bitteres Misstrauen.
    Aber als sie dem Fremden in die Augen sah, verflüchtigten sich diese Überlegungen völlig.
    Die Wucht seines Blickes war wie ein körperlicher Schlag. Odosse keuchte auf und zuckte zusammen, und sie wäre zurückgewichen, wäre da nicht seine Fingerspitze an ihrem Kinn gewesen. Diese eine Berührung, so sachte, dass sie sie kaum spüren konnte, hielt sie ebenso fest wie ein Speer, der durch einen gefallenen Widersacher getrieben worden war.
    Seine Augen hatten nichts Menschliches an sich. Die Pupillen waren groß und missgestaltet und verbreiteten sich wie Tintentropfen in Wasser über die Ränder seiner Iris hinweg. Ihre Schwärze war so absolut, so alles verzehrend, dass sich die dunkelste Schreibertinte daneben so körperlos

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