Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Mitte des Beckens auf. Dann befestigte ich den Flaschenzug. Das Becken war gerade flach genug, dass ich noch auf Zehen stehen konnte, und die Rollen des Flaschenzugs lagen knapp über der Wasseroberfläche.
Ich prüfte die Konstruktion und war zufrieden. Ich verließ das Becken, warf das restliche Werkzeug auf den Boden, nahm die Kette und stieg wieder ins Wasser. Ich war gerade im Begriff, die Kette am Safe zu befestigen, als ich Wymers Stimme hinter mir hörte.
„Ich würde das lassen“, sagte er. „Unterzutauchen war noch nie deine Stärke.“
„Hallo, Bowler.“
„Leg das weg“, sagte er. Aus dem Klang seiner Stimme schloss ich, dass er eine Waffe auf mich gerichtet hielt. Also ließ ich die Hand mit der Kette langsam sinken, ließ die Kette aber noch nicht los. „Dreh dich um. Schön langsam.“
Ich gehorchte. Wymer stand im Eingang der Schwimmhalle, einen Revolver auf mich gerichtet.
„Was soll das?“, fragte ich, obwohl es ziemlich klar war.
„Was ist los mit dir?“ Wymer schüttelte den Kopf und kam gemächlich zum Beckenrand. „Dass mein Freund sich als unfähig entpuppt, ist schlimm genug. Aber ausgerechnet du, ein Verräter? Das verstehe ich nicht.“
„Laß es gut sein“, sagte ich. „Du musst mir vertrauen.“
„Vertrauen?“, spottete er. Er schien weniger verletzt als belustigt. Das wiederum verletzte mich in gewisser Weise.
„Ich kriege das wieder hin“, sagte ich. „Du kennst mich doch. Du weißt, ich würde die Krone nie verraten.“
„Die Krone?“ Er lachte. „Du arbeitest jetzt schon so lange für die Sektion und glaubst immer noch, für die Krone zu arbeiten?“ Anscheinend versuchte er, mich auf den Arm zu nehmen. Oder meinte er, was er sagte? „Du hast uns verraten, Batsman. Dein Team.“
„Du verstehst das nicht“, sagte ich. „Sie haben meine Frau.“
„Ich verstehe das nicht?“, fragte er. „Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein: Meine Wohnung ist leer, mein Bett ist kalt ... ich habe einfach nicht dein Glück.“
Ich dachte an unser drei Tage zurückliegendes Gespräch und verzog gequält das Gesicht. „Ich glaube, du brauchst eine Abkühlung“, sagte ich, und spritzte ihm mit der Linken eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Verärgert blickte er mich an. Immerhin schoss er nicht. Ich fragte mich, ob wir das Spiel lange genug spielen konnten, dass das Pulver in seinen Kammern feucht wurde. Ich wollte mich nicht darauf verlassen.
„Laß den Quatsch“, sagte Wymer. „Nicht um alles in der Welt wollte ich mit dir tauschen.“
„Warum bist du dann so scharf darauf, dich einzumischen?“ Langsam näherte ich mich dem Beckenrand.
Er schnaubte. „Ich will dir sagen, wie sich mir die Sache darstellt: Da ist ein Mann, der sich und sein Privatleben nicht im Griff hat; der die Verantwortung für eine der wichtigsten Operationen der Sektion übertragen bekommt und es nicht einmal schafft, den Palast vor dem Eindringen feindlicher Agenten zu schützen – von denen er sich dann noch ausspionieren lässt; der die Tage vertrödelt und sich die Nächte in Whitechapel um die Ohren schlägt, während ich die ganze Drecksarbeit mache. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie schwer es mir fiel, mich vom Palast fernzuhalten – und jetzt finde ich dich hier, wie du dir Zugang zu unserer geheimen Ausrüstung verschaffst. Also, erkläre es mir, welchen Teil habe ich nicht begriffen?“
„Du hast mich verfolgt?“, staunte ich und schlang unter Wasser die Kette um meine Hand. Ich hatte die unterste Stufe erreicht und setzte meine Füße auf. „Ich dachte, du hast Urlaub.“
Wymer schüttelte lachend den Kopf. „Ich sage es nicht gern, aber dein Talent ist wirklich für den Arsch. Ich hoffe nur, dass auch der Wicket-Keeper das endlich begreift. Du kommst mit mir.“
Ich riss die Kette hoch und schlug nach seinem Waffenarm. Leider war ich durch das Wasser nicht sehr schnell, Wymer sprang mit schier unglaublicher Geschwindigkeit beiseite, und ich traf nur die Säule, vor der er eben noch gestanden hatte.
Er trägt sein Talent, dachte ich. Wieso trägt er sein Talent?
Wir standen einander nun gegenüber, ich halb im Wasser, er am Rand, nur durch wenige Schritte getrennt. Wie ein Gladiator ließ ich die Kette über meinem Kopf kreisen, bemüht, keine Schwäche zu zeigen, und schätzte die Lage ein. Mir war mulmig zumute, weil ich Wymers Talent schon im Einsatz erlebt hatte; er konnte einen Vogel mit der bloßen Hand fangen. Er aber wusste, dass ich ihm
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