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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Segmenten wie in den facettierten Augen eines Titaneninsekts sich die rauchgrauen Bäuche der Wolken spiegeln. Es ist eine Architektur ohne die Spitze, den Zuckerguss vergangener Zeiten, auf den ersten Blick seelenlos und kalt, doch schön wie ein geschliffener Diamant und fremd in ihrer Schönheit. Es gibt keine Stadt auf der Welt, in der diese schimmernde Halle nicht wie ein Fremdkörper wirkte. Ich begreife, weshalb die Menschen sie den Kristallpalast nennen, und horche auf.
    Der Palast ruft mit uralter Stimme, und ohne zu wissen wie und warum erkenne ich auch, dass Frans den Ruf ebenso wahrnimmt wie ich. Ich spüre Frans nun immer deutlicher, im selben Maß, wie ihm seine unheimliche Tarnkappe den Dienst versagt. Er braucht einen Ausweg und glaubt, ihn gefunden zu haben.
    Vor uns geht es zu wie auf einer Werft. Nur noch drei Tage bis zur Eröffnung des epochalen Traums. Die Arbeiter haben begonnen, den Zaun, der die Große Ausstellung die vergangenen Wochen vor Tausenden neugieriger Augen schützte, zu demontieren und seiner letzten Bestimmung zuzuführen. Die Palisaden werden zu Dielen. Zahllose Polizisten, viele davon in Zivil, halten Tag und Nacht die neugierige Menge zurück, die sich immer noch fragt, ob eine solche Konstruktion den Elementen standhalten kann oder beim ersten Sturm wie Atlantis vergehen wird.
    Eine seltsame Lethargie hat sich über die Einwohner Londons gelegt. Sie sehen, wie das Auge der Welt auf ihrer Stadt ruht und Hydepark und die umliegenden Straßen sich in ein Feldlager zu verwandeln scheinen, in dem bizarre Besucher und exotische Aussteller darauf warten, dass der Vorhang sich hebt und der Palast seine Wunder offenbart. Als besuchte ein Zirkus eine kleine Ortschaft. Die Erwartung des großen Ereignisses lähmt das Leben wie ein Splitter, der sich im Fleisch festgesetzt hat.
    Frans schwimmt durch die Menge, wie ein Lachs durch Stromschnellen flussaufwärts schwimmt. Immer wieder sieht man Teile seines nackten, regennassen Körpers aufblitzen wie die Einzelbilder eines Thaumatrops und sich zur Illusion eines ganzen Menschen vereinen. Dennoch schafft er es, indem er gerissene Haken schlägt, seine Häscher vorzuführen, und ich kämpfe mich nur mühsam durch das Kielwasser der Verwirrung, das er hinterlässt. Ich spüre nach unserem gemeinsamen Sprint Schmerzen in Beinen und Brust, doch ich darf mir keine Pause gönnen, weil sonst Frans einen weiteren Haken schlagen und nicht wieder auftauchen wird oder die Spaziergänger und Gaffer, die Arbeiter und die Wachen die Frau in den nassen Hosen nicht mehr als unbegreifliche Begleiterscheinung des Tumults, sondern als Mitverursacherin desselben erkennen werden.
    Ein großes Gedränge herrscht am Osteingang, wo Arbeiter eine gigantische Schiffsschraube in den Palast zu bugsieren bemüht sind. Einen Moment ist der Eingang versperrt, Frans muss anhalten, und ich springe nach vorn und halte ihn umklammert, doch er windet sich in meinem Griff wie ein Fisch und entgleitet mir wieder. Ich sende einen Handkantenschlag in die Richtung, in der ich ihn vermute, und meine Hand trifft auf Widerstand; ich spüre kurz heißen Schmerz und Verärgerung, und dann ist da ein Bein, wo zuvor keines war. Es dringt zwischen meine Füße, ich stolpere, dann packt mich eine Hand am Hals, und ein furchtbarer Schlag fährt durch meinen Körper.
    Zuerst spüre ich keine Schmerzen. Doch meine Arme zucken empor, und ich drehe wie betäubt eine Pirouette, als meine Sinne in einer Explosion weißen Lichts vergehen. Mehr Eindrücke, als ich auf einmal verarbeiten kann, stürzen auf mich ein, mein Geist öffnet sich, und dann vermeine ich, sterben zu müssen, denn es ist so viel, viel zu viel, um noch in meinen Kopf zu passen. Es ist, wie zum ersten Mal wirklich zu atmen, zum ersten Mal wirklich zu fühlen und zu verstehen. Noch immer hält mich Frans fest, und ich spüre überdeutlich seine Genugtuung, als wir so stehen, in ekstatischer Starre vereint. Einen Moment schwebt sein flackerndes Gesicht vor mir, und ich sehe ihn grinsen. Dann lässt er los.
    Ich glaube, er hat in diesem Moment den Shila überladen. Er hat seine Hand um meinen Hals gelegt und irgendetwas mit dem Stein getan, um mich außer Gefecht zu setzen. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie ich mich aufrappele. Schmerz pulsiert in meinen Schläfen. Ich suche nach Frans, doch ich kann ihn weder sehen noch fühlen. Aber ich fühle die Angst und das Entsetzen der Männer um mich herum, deren Ring sich

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