Der Kugelfaenger
nicht.“ Eine nüchterne Feststellung von Evelyn, aber wenn man bedenkt, dass ihr bis jetzt noch nicht einmal die Polizei geglaubt hat, ist es durchaus nachvollziehbar.
„Ich würde mal sagen, es wäre leichter Ihnen zu glauben, wenn die Briefe noch da wären.“
„Fragen Sie doch einfach meine Tante. Oder George. Die beiden haben sie auch gesehen. Die werden Ihnen alles bestätigen“, sagt Evelyn.
Tom sieht Evelyn in die Augen und wundert sich schon zum hundertsten mal über ihre schöne Augenfarbe.
Sie hängen eine Weile ihren eigenen Gedanken nach, bis Evelyn wieder das Wort ergreift.
„Aber wissen Sie, was ich nicht verstehe?“ Sie rührt in ihrer Tasse mit Wasser.
Tom sagt nichts. Er wartet geduldig, bis sie fortfährt. Und das tut sie auch. Sie sagt: „Ich verstehe nicht, warum man
mir
Drohbriefe schreibt.“
„Sie werden halt irgendjemandem gewaltig auf die Nerven gehen“, meint Tom sarkastisch.
„Nein, ich meine, warum schickt man die Drohungen
hierher
? Das leuchtet mir nicht ganz ein.“
„Warum sollte man sie denn nicht hierher schicken? Schließlich wohnen Sie doch hier.“
Evelyn schüttelt leicht den Kopf. Dann seufzt sie und sagt: „Ich bin untergetaucht.“
Tom kneift die Augen zusammen. „Wie meinen Sie das jetzt?“
„Ach, wissen Sie ... Der Tod meines Onkels hat auch mich sehr mitgenommen, nicht nur meine Tante. Und als ich mich dann bei meiner Tante einquartiert habe, da habe ich halt die Gelegenheit genutzt und bin sozusagen aus der Öffentlichkeit verschwunden.“
Ein erstaunter Ausdruck liegt auf Toms Gesicht.
„Also, ich meine damit, dass ich einfach meine Ruhe haben will. Nicht ständig von der Presse verfolgt zu werden. Den ganzen Scheiß hinter mir lassen. Verstehen Sie?“
„Nein“, sagt Tom. „Könnten Sie sich vielleicht etwas genauer ausdrücken und auf den Punkt kommen?“
Evelyn seufzt. „Gut, dann drücke ich es so aus: Es weiß eigentlich niemand, dass ich hier bin.“
„Ach nein?“
„Nein. Eigentlich
kann
es niemand wissen, weil ich keinem gesagt habe, wo ich mich momentan aufhalte. Und daher verstehe ich nicht, warum ich Drohbriefe bekomme.
Hierher
.“
„Sie wollen mir allen Ernstes weiß machen, dass keiner weiß, wo Sie sind?“
„Genau.“ Evelyn ist fest davon überzeugt.
„Sie sind der Meinung, dass niemand Ihrer zehn Millionen Fans eine Ahnung hat, dass Sie bei Ihrer Tante untergekrochen sind?“
„Ja. Obwohl ich glaube, dass zehn Millionen Fans extrem übertrieben sind.“ Sie bleibt standhaft.
„Und die Aasgeier von der Presse tappen auch im Dunkeln?“ Tom lässt nicht locker.
„Bis jetzt ist noch keiner von denen aufgetaucht, um ein Exklusivinterview mit mir zu ergattern“, gibt Evelyn zurück.
„Und was ist mit Ihrer Freundin?“ Tom grinst siegessicher.
„Na, Victoria weiß natürlich wo ich bin“, sagt Evelyn. „Und meine Agentin auch“, gibt sie nach einigem Zögern zu. „Leider.“
Tom zieht verblüfft eine Augenbraue hoch.
Evelyn beachtet ihn gar nicht. „Na ja, mein Exmanager weiß unter Umständen auch davon. Und Jean, für dessen Modelabel ich unter anderem auch arbeite, den musste ich ja gewissermaßen einweihen.“
„Das sind aber ziemlich viele Leute, für die Tatsache, dass
niemand
davon weiß.“ Toms Stimme ist unüberhörbarer Sarkasmus zu entnehmen.
„Kann schon sein“, meint Evelyn. „Aber von denen würde mir niemand Morddrohungen schicken.“
„Wie können Sie sich da so sicher sein?“
„Warum sollte ich es nicht sein?“ Sie sieht ihn provozierend an.
Tom massiert mit den Fingerspitzen seine pochende Schläfe. Das Gespräch mit Evelyn ermüdet ihn zunehmend. „Wie sieht’s denn zum Beispiel mit Ihrer Freundin aus? Gibt es da keine Rivalitäten so von Model zu Model?“
„Na klar gibt es die. Aber nicht zwischen Victoria und mir. Wir sind nämlich nicht nur gute Freundinnen, sondern
beste
Freundinnen. Wir kennen uns schon ewig. Verstehen Sie?“ Evelyn lächelt. „Was den Rest meiner Kolleginnen betrifft, muss ich sagen, dass in dieser Beziehung durchaus Spannungen vorhanden sind.“
„Können Sie mir da ein Beispiel nennen?“
Evelyn lächelt. „Ich könnte Ihnen sogar mehrere nennen.“ Dann wird sie wieder ernst. „Letzten Frühling habe ich einem anderen Model einen Werbejob ausgespannt. Davon ist
sie
zumindest überzeugt.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Aber was kann ich dafür, wenn sie Gewichtsprobleme hatte und man sich halt dann doch für mich
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