Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
ihm.
Delaney drehte sich um und sah Kaidan, der auf sie zukam. Eine Seite seines Kopfes war angeschwollen und blutig. » Was soll das heißen?«
» Sie hat kein Pferd und keinen Proviant. Nur ein Gewehr.«
» Und woher, zum Teufel, hat sie die Waffe?«
» Es ist meine. Ich hab sie am Turm überrascht, aber sie …«
» Du hast sie schon wieder entkommen lassen?« Delaney konnte es nicht fassen. Fast könnte man glauben, Kaidan tat das mit Absicht. Der zeigte auf seinen Kopf.
» Ich habe sie nicht entkommen lassen.«
» Wie lange ist sie schon weg?«
» Ein paar Minuten. Die Wächter im Wachhäuschen haben niemanden über die Brücke oder zu den Koppeln gehen sehen, also muss sie in den Wald gelaufen sein. Ich habe den Wächtern gesagt, sie sollen die Pferde satteln und mir suchen helfen. Wir holen sie zurück. Sie hat kein Pferd, und zu Fuß wird sie nicht weit kommen.«
» Du sagst, sie war am Turm?«
» Ja.«
» Warum ist sie nicht direkt von hier aus in den Wald gelaufen oder über den Fluss?«
» Sie wollte ihr Medaillon zurückhaben. Sie hat mich nach ihrer Mutter gefragt, nach dem Großen Werk und warum sie weggelaufen ist«, antwortete Kaidan. » Ich glaube, sie denkt, dass sie die Antworten auf all ihre Fragen im Turm finden wird – und auch ihre Erinnerungen.«
Delaney nickte bedächtig. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren. » Geh, nimm die Wächter mit und durchsuch den Wald.«
» Soll ich ein Pferd für dich satteln?«, fragte Kaidan.
Sein Vater überlegte einen Moment. Er wollte sich die Videobänder ansehen. Vielleicht zeigten die, was geschehen und wohin Sorcha gelaufen war. Im Wald gab es jedoch keine Kameras. » Nein. Ich bleibe hier, für den Fall, dass sie zurückkommt.«
» Zurückkommt?«, fragte Zara. » Warum sollte sie das tun?«
» Weil sie weiß, dass sie allein nicht weit kommen wird.« Er dachte an das Medaillon und an ihre Mutter. » Außerdem ist sie nicht nur vor mir, vor dem Dorf und vor ihren Ängsten davongelaufen, sondern auch vor ihrer Vergangenheit. Und das ist nicht so einfach. Ganz und gar nicht einfach.«
Nach einigen Minuten brachte Fox das Pferd plötzlich zum Stehen.
» Was ist los?«, fragte Sorcha.
Fox stieg aus dem Sattel. » Das hier wird nicht lange dauern. Wir haben noch ein wenig Zeit, bis sie entdecken, dass Sie verschwunden sind. Und selbst dann werden sie davon ausgehen, dass Sie zu Fuß unterwegs sind und also gar nicht so weit kommen konnten.«
» Wieso hier?«, fragte Sorcha mit einem Blick auf die kleine Hütte.
Er trat in die Mitte der Lichtung. » Bevor wir hier verschwinden, muss ich Ihnen etwas zeigen. Ich brauche einen Zeugen.« Er beugte sich hinunter und begann, mit den Händen in der weichen Erde zu graben.
Sorcha rang entsetzt nach Luft, als ein Schädel und andere Knochen zum Vorschein kamen. » Wo sind wir hier?«, fragte sie.
» Das ist der Ort, an dem Ihre Indigo-Familie sich ihrer Toten entledigt. Ich habe beobachtet, wie der große Kerl, den Sie k.o. geschlagen haben, hier etwas vergraben hat. Als ich nachsah, habe ich jede Menge menschlicher Knochen gefunden, von Erwachsenen, Kindern und Babys. Missgestaltete Babys.« Sorcha erinnerte sich, dass Eve ihr erzählt hatte, Delaney habe versucht, noch weitere violette Kinder mit Aurora zu zeugen, doch sie alle waren tot geboren worden. Fox zeigte hinauf in eine der Baumkronen. » Er hat die Knochen von da oben hier heruntergebracht.« Der Arzt berichtete ihr von dem Podest auf dem Dach des Waldes, wo die Toten abgelegt wurden, um von den Vögeln saubergefressen zu werden. Dann ging er ein paar Schritte über die Lichtung und grub ein weiteres kleines Loch, aus dem noch mehr Knochen zum Vorschein kamen. » Die gesamte Lichtung ist eine flache Knochengrube.«
» Aber es sind so viele! Wie können so viele Leute aus dem Dorf in den letzten Jahren gestorben sein?«
» Ich glaube nicht, dass sie alle einfach gestorben sind. Es sieht so aus, als wären einige von ihnen ermordet worden. Womöglich bei einer Art Ritual. Eine der jüngeren Toten, die ich oben auf dem Podest gesehen habe, ist mit einem Seil oder etwas Ähnlichem stranguliert worden.« Sorcha schauderte, als er ihr von den Ohrringen berichtete. Beim Anblick der Knochen, die man einfach in diese anonyme Grube gekippt hatte, legte sich eine schwere Schuld auf ihre Schultern. Sie schämte sich. In diesem Moment wünschte sie, sie wäre noch immer Jane Doe, ohne eine Ahnung von ihrer Vergangenheit oder ihrer
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