Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
sie den Mörder kennt, wird sie sich nicht daran erinnern, ihn zu kennen. Sie kann sich an nichts erinnern, was vor der Nacht des Feuers passiert ist. Bevor wir sie da hineinziehen, müssen wir uns die drei Tatorte noch einmal genau ansehen und herausfinden, was im Kopf des Mörders vor sich geht. Was haben die Botschaften zu bedeuten? Wer ist der Engel und wer ist der Dämon?«
» Jane Doe könnte uns dabei helfen«, erwiderte Jordache hartnäckig. » Vielleicht kann sie sich ja an etwas erinnern, wenn wir sie mit all dem hier konfrontieren?«
» Du willst mich wohl auf den Arm nehmen. Menschen, die wie sie unter einer retrograden Amnesie leiden, haben etwas so Traumatisches erlebt oder sich daran erinnert, dass sie vor sich selbst fliehen.« Mit ausgebreiteten Armen wies er auf das blutverschmierte Zimmer und das Foto von Jane Doe, festgeheftet auf dem abgetrennten Kopf des Opfers. » Apropos traumatisch: Wie soll ihr die Konfrontation mit einem frischen Tatort helfen, sich an irgendetwas zu erinnern?« Doch noch während er die Frage aussprach, kannte Fox schon die Antwort.
» Ich hab damit nicht gemeint, ihr die verdammten Leichen zu zeigen, Nathan. Die schaffen wir weg. Wir sollten ihr von den Morden erzählen, ihr die Fotos der Opfer zeigen – wer weiß? Vielleicht erkennt sie einen von ihnen –, ihr sagen, dass ihr Foto auf die Gesichter der Opfer geheftet wurde, und ihr die Botschaften zeigen. Vielleicht kann sie mit irgendwas davon etwas anfangen.«
Nathan überlegte einen Moment. » Ich mach dir einen Vorschlag.« Jordache verzog das Gesicht, sagte aber nichts. » Ich werde mit ihr sprechen. Aber du musst es mich auf meine Art tun lassen. Jane Doe ist nicht sehr belastbar, und ihr Zustand ist kompliziert. Okay?« Er reichte seinem Freund die Hand.
Jordache wirkte noch immer skeptisch, schlug aber ein. » Wie du willst.«
» Großartig. Und jetzt zeig mir die anderen beiden Tatorte.«
21
Es war schon spät, als Fox den letzten Tatort verließ. Auf der Heimfahrt rief seine Tante ihn an. Sie war guter Dinge und hatte sich gefreut, Jane Doe kennenzulernen.
» Was für ein großartiges und wunderschönes Mädchen«, sagte sie mindestens drei Mal. » Und man konnte sehen, dass du sie auch magst, Nathan.« Er konnte das schelmische Lächeln in ihrer Stimme hören.
» Sie ist meine Patientin, Samantha. Mehr nicht.«
» Wenn Sie das sagen, Dr. Fox.« Er beschloss, Samantha nichts von den Morden und ihrer Verbindung zu seiner Patientin zu erzählen, doch sobald er aufgelegt hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Immer wieder erschienen ihm in Gedanken die drei Opfer, und jedes Mal sah er Jane Doe an ihrer Stelle. Er stellte sich vor, wie er das Foto von dem abgetrennten Kopf zog und darunter ihr echtes Gesicht sah, die Haut grau vom Tod, die Augen trüb vor Verwesung. Bei diesem Gedanken wurde ihm übel.
Fox war überzeugt, dass der Mörder von der Person, als die Jane Doe in den Medien dargestellt wurde, besessen war, und sie persönlich gar nicht kannte, aber das änderte nichts an der Bedrohung. Statistisch betrachtet kannten die meisten Opfer ihre Mörder, aber Fremde wählten häufig Personen aus der Öffentlichkeit, weil sie glaubten, mit ihnen in einer gewissen Beziehung zu stehen, ohne sie jemals persönlich getroffen zu haben. Fox öffnete das Autofenster und atmete tief die frische Nachtluft ein. Er beruhigte sich selbst damit, dass Jordache Jane Doe gleich morgen, sobald Fox ihr von den Morden erzählt hatte, unter unauffälligen Polizeischutz stellen würde.
Aber was war mit heute Nacht?
Fox wollte schon in Tranquil Waters anrufen, aber der Gedanke, eine der Nachtschwestern aufzuschrecken und ihr erklären zu müssen, warum sie nach einer schlafenden Jane Doe sehen sollte, hielt ihn davon ab. Seine müden Augen starrten ihn aus dem Rückspiegel an. Reiß dich zusammen, Nathan. Du übertreibst. Sie ist eine Patientin, sie liegt in ihrem Bett und schläft. In der Klinik ist sie absolut sicher. Du bist derjenige, der völlig erschöpft ist. Fahr nach Hause und geh schlafen.
Er atmete tief durch und bemühte sich, den Rat zu befolgen, den er Jane Doe vorhin gegeben hatte, nämlich sich von ihren Ängsten zu distanzieren, die immer wieder auf sie einströmten. Um sich abzulenken, versuchte er es mit allen möglichen Gedankenspielen, die er kannte, doch so sehr er sich auch bemühte, er wurde die irrationale aber zwanghafte Gewissheit nicht los, dass Jane Doe in Gefahr war und dass er
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