Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
hinfahren und nachsehen musste, ob es ihr gutging.
Es hatte eine Weile gedauert, bis Jane Doe eingeschlafen war, doch an diesem Abend hatte die Aufregung sie wachgehalten, nicht die Angst. Nachdem Fox sie nach Tranquil Waters zurückgebracht hatte, war sie im Park joggen gegangen. Sie hatte sich ziemlich geschunden, und es hatte sich gut angefühlt, ihren eigenen Körper wieder besser kennenzulernen. Nach einer ausgiebigen Dusche hatte sie in der Kantine überraschend leckere Pasta gegessen und einige der anderen Bewohner kennengelernt – Tranquil Waters bevorzugte den Begriff » Bewohner« anstelle von » Patienten«. Das Schicksal einiger von ihnen hatte ihr gezeigt, dass es ihr im Grunde gar nicht so schlecht ging. Vor dem Schlafengehen hatte sie sich dann mit einigen von ihnen im Fernsehzimmer noch einen ziemlich kitschigen Film angeschaut.
Als sie nun im Bett lag und versuchte einzuschlafen, wanderten ihre Gedanken immer wieder zurück zu den Ereignissen des Tages: zu dem, was Fox’ Tante über Transkommunikation gesagt hatte; zu dem Gespräch mit ihm über ihre Synästhesie als eine » Gabe«; und zu dem abgebrannten Haus, wo sie ihre Erinnerung und ihre Identität verloren hatte. Allmählich begann sie, sich an ihre Todesecho-Synästhesie, wie Fox sie nannte, zu gewöhnen, aber sie konnte einfach nicht verstehen, warum sie die hatte und – wenn man bedachte, wie einzigartig diese » Gabe« war – warum noch niemand aus ihrem alten Leben aufgetaucht war, um sie zu holen.
Wer war sie gewesen? Woher kam sie? Diese Fragen, die ihr zuvor Angst gemacht hatten, weckten nun ihre Neugier. Sie war zuversichtlich, dass sie mit Fox’ Hilfe irgendwann die Antworten erfahren würde. Kurz bevor sie endlich einschlief, dachte sie daran, dass sie ihn am nächsten Tag wiedersehen würde, und lächelte.
Als sie in den Tiefschlaf fiel, die REM -Phase, in der die Träume kommen, verschwand das Lächeln von ihrem Gesicht und die Angst kehrte zurück, zusammen mit den Albträumen, die ihr Unterbewusstsein quälten, solange sie denken konnte. Dieses Mal jedoch schienen die Bilder realer und unmittelbarer: Sie floh vor einem schattenhaften Verfolger durch die leeren Zimmer eines verlassenen Hotels, das allein von den Geistern der Toten bewohnt war. Draußen galoppierten Pferde wild im Kreis, während ein riesiges allsehendes Auge jede ihrer Bewegungen beobachtete. Ihr Verfolger kam immer näher, sie konnte ihn atmen hören und spürte seinen Geruch in ihren Nasenflügeln. Im Schlaf schüttelte sie den Kopf, als wollte sie den Geruch abschütteln, doch er wurde immer intensiver, drang tief in den primitiven, reptilischen Teil ihres Gehirns und schürte eine so tiefsitzende Angst in ihr, dass sie aus dem Schlaf fuhr.
Es dauerte einige Sekunden, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Das Erste, was sie wahrnahm, war das offene Fenster und der Wind, der die Gardinen in den Raum wehte. Dann sah sie im Mondlicht die Umrisse der hünenhaften Gestalt, die an ihrem Bett stand und sie beobachtete. Als die Panik sie zu überwältigen drohte, begann sie, in Gedanken Fox’ Mantra aufzusagen: Beobachte, was du siehst, aber bleib emotional distanziert; was nicht da ist, kann dir nicht wehtun; lass alles, was du erlebst, an dir vorüberfließen. Langsam beruhigte sich ihr Atem wieder.
Dann beugte die Erscheinung sich zu ihr herunter. Ein breitkrempiger Hut verdeckte sein Gesicht. In dem verzweifelten Versuch ruhig zu bleiben blinzelte sie kräftig und spähte in die Dunkelheit. Das hier war nicht so wie die anderen Erlebnisse ihrer Todesecho-Synästhesie. Die Gestalt beugte sich zu ihr herab, und eine tiefe grollende Stimme flüsterte ihr ins Ohr: » Ich weiß, wer du bist. Ich werde dich vor dem Dämon retten.« Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Kein Todesecho hatte sie jemals direkt angesprochen. Die Erscheinung kam noch näher, und dann sah sie eine Injektionsnadel aufleuchten und ein großes Messer im Gürtel des Mannes.
Sie öffnete den Mund, um zu schreien, doch eine riesige Pranke legte sich auf ihr Gesicht. » Still«, flüsterte die Gestalt und führte die Spritze so nah heran, dass sie die Tropfen an der Nadelspitze sehen konnte. Plötzlich spürte sie, wie etwas die Haut an ihrem Arm durchstach. Sie wand sich aus seinem Griff und glitt vom Bett.
Die Wirkung von dem, was auch immer er da gespritzt hatte, setzte sofort ein. Ihr Körper gehörte nicht mehr zu ihr, ihre Gliedmaßen und Stimmbänder
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