Der Kunstreiter
einen langen Ritt vor sich. Er ordnete indessen seine Briefschaften, versah sich mit Geld und warf sich dann noch einen Augenblick aufs Sofa. Die vor ihm liegende Zeitung hatte er dabei bewußtlos mit der Hand zusammengeballt und leise murmelte er: »Josefine – meine arme Josefine« – da fiel sein Blick plötzlich auf den Namen, der, größer gedruckt als die übrige Schrift, schon mit dem Zusatz »Zirkus« sein Auge fesselte und alle weiteren Gedanken in sich verzehrte. Die Worte lauteten:
Zirkus Royazet.
Noch nie hat der Zirkus in Altona in solchem Flor gestanden wie in der gegenwärtigen Saison. Es haben einzelne Direktionen vortreffliche Gesellschaften gehabt, mit ausgezeichneten Mitgliedern, deren einzelne zu den besten zählten; aber noch nie, wir wiederholen es, war ein Direktor imstande, solche Kräfte an einem einzigen Abende zu vereinigen, wie der jetzige. Royazet hat den Zirkus zu einer Art Pantheon der Reitkunst erhoben, in welchem er selbst auf der obersten Stufe thront, rings umgeben von den glänzendsten Koryphäen seiner Kunst. Ein Abend im Zirkus heißt jetzt so viel als ein Abend des Vollgenusses, ja, fast des Übermaßes. Künstler, welche sonst dieZierden der Reitbahn ausmachen, rangieren hier in zweiter Reihe und gewähren dem Zuschauer die merkwürdige Gelegenheit, den Unterschied zwischen Meisterschaft und Vollkommenheit wahrzunehmen. Ein Kranz reizender, kunstgewandter Damen reiht sich an die männlichen Größen an, und der unübertreffliche Clown Mühler, die Perle des früheren berühmten und jetzt aufgelösten Zirkus Bertrand, ist, um das Maß vollzumachen, dieser Walhalla ausgezeichneter Künstler gewonnen worden – ja, andere Kräfte sind ihm noch versprochen, die, wenn möglich, diesen Kranz von Genüssen noch gipfeln und erhöhen sollen. Royazet selber bildet aber stets den Glanzpunkt des Abends, und gleichviel, welche Künste der Equilibristik neben und um ihn sich entfalten – er ist und bleibt stets der oberste Meister, und wir glauben das Publikum um so mehr auf diesen, sich ihm jetzt noch bietenden Genuß aufmerksam machen zu müssen, da der Zirkus nur noch wenige Tage in unserer Stadt verweilen wird, um einem ehrenvollen Rufe nach Petersburg zu folgen. Ganz enorme Garantien sollen dem Künstler dort geleistet sein!«
Georg hatte mit immer wachsender Spannung die prahlerische Anzeige wieder und wieder gelesen. Royazet – sein alter Rival in mehr als einer Hinsicht, in Altona – der alte Mühler dort wieder engagiert, wohin ihm Karl jedenfalls vorangegangen. Sollte Georgine – Altona lag unter dänischer Gerichtsbarkeit außerhalb der deutschen Gesetze, und Petersburg – wenn sie ihm sein Kind nach Rußland entführte! – Er barg das Antlitz einen Augenblick in die Hand, aber es war auch wirklich nur ein Moment, in dem ihn die Sorge um die Tochter überwältigte. Schon im nächsten war er wieder er selbst, und Hut, Handschuhe und Reitpeitsche aufgreifend, verließ er das Zimmer gerade, als der Verwalter zu ihm die Treppe herauf wollte, ihm anzuzeigen, daß sein Pferd gesattelt wäre.
»Lieber Schönle,« sagte Georg, »ich will jetzt nach Kleinmarkstetten hinüber, habe aber auch noch andere Geschäfte in der Nachbarschaft dort, und es ist möglich, daß ich mit meiner Frau erst in einigen Tagen zurückkomme. Einen erhaltenen Brief zu beantworten, muß ich aber einen Boten fortschicken, und da wir unsere Leute jetzt notwendig brauchen, werde ich einen Burschen aus der Försterei, den Forstwart oder wen sonst schicken. – Lassen Sie den alten Braunen herausführen, den Sattel auflegen und das Pferd dann, sobald Sie können, zum Forsthause hinauf schicken. Verstanden?«
»Sehr wohl, Herr Baron!« sagte der alte Verwalter, »ich dachte aber, denen im Forsthause schadete es auch nichts, wenn sie ihreBeine auf Gottes Erdboden setzten, statt sie über einen Sattel hinüber zuhängen.«
»Das dauert mir dann zu lange,« erwiderte Georg. »Tun Sie nur, wie ich gesagt habe. Sonst ist nichts Besonderes vorgefallen?«
»Nicht das geringste, Herr Baron. Wir haben wacker gedroschen in der Zeit; Dünger ist gefahren, die Umzäunung am Garten ausgebessert, und jetzt sind nur noch die Holzfuhren zu machen, zu denen der Förster ein wenig drängt.«
»Er hat recht. Es ist auch die höchste Zeit, daß das Holz von dem Schlag fortkommt – also auf Wiedersehen, Schönle. Besorgt mir das alles gut; in einigen Tagen spätestens bin ich wieder da.«
Mit diesen Worten war er die
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