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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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Verzweiflung; ich floh nach Frankreich, und mein böser Stern warf mich in die Arme einer dort umherziehenden Kunstreitertruppe. Du weißt, daß ich von je ein guter, vielleicht zu tollkühner Reiter gewesen; die kleinen Kunstgriffe jener Truppe lernte ich deshalb bald und fühlte dadurch einen gewissen Stolz, mein Leben, meine Existenz dem Schicksal selber abringen zu können. Der Chef unserer Truppe war zugleich ein Seiltänzer, und wie mein in eine falsche Bahn geworfener Stolz nicht ertragen konnte und wollte, daß irgend jemand es mir in dem Berufe, den ich mir jetzt gewählt, zuvortun sollte, warf ich mich mit tollem Eifer dieser neuen Kunst in die Arme. Vollkommen schwindelfrei, denn der Leidenschaft des Trunkes wie dem Spiel hatte ich lange entsagt, machte ich rasend schnelle Fortschritte, und mein wertloses Dasein doch nicht achtend und keck bei jeder Gelegenheit in die Schanze schlagend, übertraf ich bald meinen Meister.«
    »Und hast du nie dabei an uns gedacht?«
    »Ja,« flüsterte Georg, »nur zu oft; aber gerade der Gedanke an euch, der mir beim Ritt die Kraft, beim Seiltanz Mut und Geistesgegenwart raubte, wurde mein schlimmster Feind – wenigstens hielt ich ihn dafür.«
    »Es war dein guter Engel, der dich zurück in unsere Arme führen wollte.«
    »Möglich,« sagte Georg, scheu den Kopf abgewandt, »aber –ich hielt ihn für meinen Teufel und suchte mich für immer von ihm zu befreien.«
    »Aber das war nicht möglich.«
    »Doch,« hauchte Georg, »der Menschengeist ist erfinderisch, und – ich fand ein Mittel. Ich lernte damals Georginen kennen, das schönste Weib, das ich je gesehen, und – heiratete sie.«
    »Es geht hier ein Gerücht in der Stadt,« sagte der Graf, »daß Georgine die Tochter eines französischen Edelmannes sei, die du aus einem Kloster auf abenteuerliche Weise entführst haben solltest. Ist das begründet?«
    »Eines französischen Edelmannes?« erwiderte mit finster zusammengezogenen Brauen und bitterem Lächeln der Kunstreiter. »Du hast ihren Vater gesehen – er ist Hanswurst bei unserer Truppe, dem niedrigsten Pöbel entsprungen, in dem er schwelgt.«
    »Also doch!« seufzte Wolf aus tiefster Brust.
    »Du siehst, daß es mir gelungen ist, mir den Rückweg für alle Zeiten abzuschneiden,« fuhr sein Bruder fort. »Ich wußte, daß ich mit dieser Heirat mich für immer von allem, was mich noch im alten Vaterlande hielt, was mich dahin zurückzog, losriß, und einmal den Schritt getan, und ich war frei. Von dem Augenblick an war ich Kunstreiter, war ich Seiltänzer mit ganzer Seele. Toller und rücksichtsloser aber trieb ich es als bisher; meine Keckheit wurde zum Sprichwort; die Leute kamen meilenweit, meine halsbrechenden Künste zu sehen und anzustaunen, und – der Ehrgeiz, der Stolz des Edelmannes versank in dem des Luftspringers. – Da hast du meine Geschichte, kurz und einfach bis zur heutigen Stunde, und nun laß mich fort. Daß du mich erkannt, ist mir ein Beweis der Gefahr, der ich mich hier in Deutschland aussetze, wieder einmal einem der früheren Kameraden zu begegnen. Der Gefahr will ich nicht preisgegeben sein und weniger meinet- als eurethalben. Ich kehre nach Frankreich zurück, um Deutschland nicht wieder zu betreten – vielleicht gehe ich nach Amerika mit meiner Truppe, denn dort bin ich ganz sicher. Eine Frage nur beantworte mir noch, Wolf, und glaube mir, daß dein Wiedersehen dabei, du treues Herz, den einzigen Lichtblick auf meinen dunkeln Lebenspfad geworfen, an dem ich viele, viele Jahre zehren werbe – wie geht es – der Mutter?«
    Er hatte sich abgewandt und die letzten Silben so leise gesprochen, daß sie kaum zu dem Ohr des Bruders drangen.
    »Denkst du noch an unsere Mutter, Georg?« fragt« ihn Wolf,seine Hand ergreifend und seinen ängstlichen Blick fest auf ihn geheftet.
    »Glaubst du, daß ich sie je vergessen könnte?« erwiderte der Unglückliche, »o, wenn ich sie noch einmal sehen, mein müdes Haupt noch einmal an ihr treues Herz pressen könnte...«
    »Armer, armer Georg!« seufzte Wolf, »und mit dem nagenden Wurm in der Brust willst du wieder hinaus? – Bleibe bei uns. Noch ist es möglich, daß du die Mutter wiedersiehst, ohne ihr das Herz zu brechen. Noch ist es möglich, daß du dem Leben, der Gesellschaft zurückgegeben würdest – aber du mußt wollen!«
    Georg sah staunend zu ihm auf. »Jetzt noch?« sagte er, »jetzt, nachdem ich dir erzählt, daß der Hanswurst mein Schwiegervater, daß Georgine, die Kunstreiterin,

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