Der Kunstreiter
Stellung in der Welt schuldig. Aber ich höre meinen Vater – er wird kommen, um Sie abzurufen.«
Der Graf neigte sich ehrerbietig, aber kalt vor ihr, er hatte seine ganze Fassung und Männlichkeit wiedergewonnen, und in demselben Augenblicke auch fast öffnete sich die Tür, in welcher der Kriegsminister, schon in Uniform, um gleich nachher zum Fürsten zu fahren, erschien.
»So, mein lieber Geyerstein,« sagte er freundlich, als er dem jungen Manne die Hand entgegenstreckte, »jetzt bin ich mit allem fertig und stehe Ihnen noch auf eine halbe Stunde zu Diensten. Er will uns davonlaufen, Melanie, will hinauf nach Mecklenburg und Hirsche schießen, Güter einrichten, und Gott weiß was alles. Wir werden Sie hier vermissen, Geyerstein, und Rosalie besonders wird untröstlich darüber sein. Wo steckt denn das Mädchen überhaupt heute morgen – wohl wieder ausgefahren? Aber du siehst so blaß heute aus, Melanie; fehlt dir was, mein Kind?«
»Nichts, lieber Vater – nur ein wenig Kopfschmerz hatte ichheute, und habe deshalb Rosalien auch nicht begleitet. Es wird bald vorübergehen.«
»Exzellenz gestatten mir dann vielleicht. Ihnen oben in Ihrem Zimmer die Papiere vorzulegen,« sagte Graf Geyerstein.
»Schön; wenn Sie alles bei der Hand haben, desto besser. – Apropos, sind Sie auf heute mittag schon versagt? Ich möchte Sie gern noch so lange als möglich bei uns haben.«
»Ich muß unendlich bedauern...«
»Machen Sie um Gottes willen keine Umstände; Sie sollen nicht im mindesten geniert sein. Also kommen Sie. – Adieu, mein liebes Kind; lies nicht zu viel, das nimmt dir den Kopf nur noch mehr ein.«
Graf Geyerstein verabschiedete sich bei der Komtesse mit einer tiefen Verbeugung, und ebenso förmlich dankte ihm die Dame. Der alte Herr bemerkte das aber nicht; er übersah schon flüchtig die Papiere, die ihm der Rittmeister eben übergeben hatte, und mit freundlichem Kopfnicken nur von seiner Tochter Abschied nehmend, verließ er gleich darauf, von dem Grafen gefolgt, das Zimmer.
Melanie blieb, als die beiden Männer die Tür hinter sich geschlossen hatten, noch eine ganze Weile stumm und regungslos stehen. Hatte aber auch ihr stolzer Geist in dem entscheidenden Momente den Sieg über das nur zu schwache Herz davongetragen, jetzt – jetzt vermochte sie nicht mehr. Ein leises Frösteln flog über ihren Körper, sie schwankte zum Sofa, barg das bleiche Antlitz in den Händen und weinte – weinte, als ob ihr Herz vor unendlichem Weh zerbrechen müsse in der Brust.
10.
Oben, inmitten des schönen Mecklenburger Landes, an einem der kleinen reizenden Seen, lag das nicht unbeträchtliche Rittergut Schildheim, seit undenklichen Zeiten schon einem alten Mecklenburger Geschlechte erb- und eigentümlich. Der letzte desselben heiratete eine Komtesse Geyerstein aus einer Nebenlinie im nordöstlichen Preußen, und um sie die Heimat nicht so sehr vermissen zu lassen, wurde damals das alte, durchaus neu restaurierte Gut ganz nach preußischer Art eingerichtet; ja sogar einen preußischen Verwalter und eine Wirtschafterin brachte die junge Frau mit dorthin, sowie Leute von ihren eigenen Gütern, und Schildheim hieß demnach und von der Zeit an in der Umgegend nur »das preußische Gut«. Der Besitzer starb, aberseine Witwe, eine Großtante Wolfs von Geyerstein, überlebte ihn noch viele Jahre, und als auch sie in der Familiengruft beigesetzt wurde, ging das Gut durch Erbschaft an Wolfs Mutter über.
Mit den Jahren hatte sich jetzt dort vieles verändert. Die Wirtschafterin war gestorben und eine andere aus dem Lande selber angenommen worden. Dann hatte ein Pächter das ganze übernommen, und die preußischen, dazu gehörigen Familien verdingten sich teils auf anderen Gütern, teils hatten sie selber etwas erspart und einen eigenen kleinen Grundbesitz gekauft. Nur die Gebäude waren noch die alten und der Name »das preußische Gut« ebenfalls auf dem alten Herrensitze haften geblieben. Die Leute in der Nachbarschaft kannten es fast unter keiner andern Benennung, und doch verdiente sie das Gut schon lange nicht mehr. Von den eigentlichen, dort hinübergezogenen Preußen lebte in der Tat nur noch einer, der alte Verwalter, ein Mann hoch in den Sechzigern aber mit noch rüstigen Kräften, der samt den Dienstleuten der seligen Besitzerin, und zwar als Ochsenjunge, herübergekommen war und sich durch Fleiß und ehrliches Betragen zu solchem Ehrenposten aufgeschwungen hatte. Das eigentliche Inventar aus ältester Zeit
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