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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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die besten. Es riecht nach Krieg, Hoheit.« Seine Verneigung vor ihr war nicht tiefer, aber deutlich
ehrerbietiger als vor dem Pharao, das registrierte Miu. »Die Völker im Norden treiben ihr provozierendes Verhalten auf die Spitze. Wenn Kemet sie nicht bald gründlich in die Schranken weist, werden sie uns über kurz oder lang auf dem Kopf herumtanzen.«
    »Lasst uns in den Palast gehen.« Tutanchamun gab sich nicht die geringste Mühe, seine aufkommende Verstimmung zu verbergen. »Das sind nicht die richtigen Themen für einen angenehmen Nachmittag im Lustgarten!«
    Sie hatten seine Vergnügungen gestört, und das nahm er ihnen übel - Anchesenamun und diesem großen, stattlichen General, der seine Gemahlin nicht aus den Augen ließ. Sie sollten zu spüren bekommen, wie sehr.
    »Dein Wunsch sei mir Befehl, Einzig-Einer!«, erwiderte Haremhab glatt und trat zur Seite.
    »Du wirst wiederkommen müssen, Miu«, sagte der Pharao, als er wenig später an ihr vorbeiging, so leise, dass nur sie es hören konnte. »Lass mich nicht lange warten! Mein Palast steht dir ebenso offen wie mein Herz. ›Feuerkatze‹ lautet die Parole und ist der Schlüssel zu beidem.« Ein scheues, jungenhaftes Lächeln. »Aber ich denke, das weißt du längst!«

    Von all den vielen Räumen in seiner Werkstatt liebte Ramose diese Kammer am meisten. Sie lag weit genug entfernt von den Sälen der Reinigung , wo den Toten auf Steintischen die Organe entnommen und, je nach Preisklasse, bis zum Tag der Bestattung sorgfältig in Kanopengefäße aus Ton oder Stein gefüllt wurden. Bis hierher wehte nicht
der unerträglich süßliche Atem Anubis’, und aus diesem Grund hätte er sich die aufwändige Räucherung, die er allwöchentlich abhielt, wohl auch sparen können. Außerdem hatte er wenig Zeit, denn ein neuer Kunde hatte sich mitsamt seinem Weib schon zum zweiten Mal angesagt, offensichtlich entschlossen, eine erhebliche Menge Silber in die Balsamierung seiner verstorbenen Mutter zu investieren.
    Ramose hielt dennoch an seinem Vorhaben fest. Die Räucherung war ihm eine lieb gewordene Zeremonie, die ihm dabei half, die Gedanken zu sortieren und all das aus seinem Herzen zu verbannen, was sich lästig und schwer anfühlte. An Myrrhe gab es zum Glück keinen Mangel, wenngleich er gerade hier äußerst wählerisch war. Nur die kräftige graurote Farbe fand Gnade vor seinen kritischen Augen, und ihren würzigen, leicht bitteren Duft zu inhalieren, war eine Wohltat. Den Geruch von frischer, feuchter Erde meinte er zu riechen, während er seine kleine Räucherpfanne vor den Brettern sacht hin und her bewegte, wo die Amulette lagen, die die Toten auf ihrer letzten Reise begleiten würden.
    Doch das war noch lange nicht alles.
    Der Duft rief auch gewisse andere Erinnerungen in ihm wach, Erinnerungen, die ihm ein Lächeln auf die Lippen zauberten - an weiche Haut und rabenschwarzes, duftendes Haar. An Seufzen und geflüsterte Liebesworte …
    Für einen Augenblick hielt er die Lider geschlossen und plötzlich stieß sein Fuß unsanft an einen schweren Gegenstand. Abrupt in die Gegenwart zurückgerissen, starrte Ramose auf die große Kiste, die erst heute Morgen angeliefert worden war. Kopfstützen, Spielbretter, Krüge, Schalen
- und was die Reichen sonst noch alles brauchten, um ihren Luxus auch im Jenseits zur Verfügung zu haben.
    Am wichtigsten aber waren die zahlreichen Amulette, die, sorgsam sortiert, ein wenig höher auf den Brettern lagerten. Ramose gönnte auch ihnen eine tüchtige Prise Myrrhe, was sie reinigen und damit noch wirksamer machen würde. Hier war so gut wie alles vertreten, was eine Frau oder ein Mann aus Kemet sich als magischen Schutz nur wünschen konnte: das Anch-Kreuz, das das ewige Leben symbolisierte, der Djed-Pfeiler, der das Rückgrat des Gottes Osiris darstellte, das Udjat-Auge, Schutz vor allem Bösen, die Schwingen der Göttin Isis, Heilung und Schutz für Lebende und Tote, der Skarabäus, heiliger Pillendreher …
    Ramose erstarrte.
    Es kostete ihn Mühe, das Räuchergefäß nicht einfach fallen zu lassen, sondern es halbwegs sanft auf der Kiste abzusetzen. Zwischen all seinen vertrauten Skarabäen aus Ton und Stein stach ein glutrotes Exemplar hervor, das er noch nie zuvor gesehen hatte.
    Er musste sich die Hände am Schurz abwischen, bevor er die Kraft fand, das Amulett in die Hand zu nehmen.
    Ein Herzskarabäus. In der feinsten Karneolqualität, die ihm jemals begegnet war.
    Ein Pfeifen und Knirschen. Ramoses Blick

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