Der Kuss Des Daemons
es das, was in zwei Stunden geschehen sollte?
Willst du mich dann zu einer Lamia machen? Heute Nacht?«
Julien starrte mich an, als würde er mit einem Mal begreifen, was hier wirklich vor sich ging. Er öffnete den Mund, schluckte dann aber runter, was er noch hatte sagen wollen, und schloss ihn wieder. Doch der Blick, den er auf Samuel richtete, war mörderisch. »Du skrupelloser Mistkerl! Verflucht sollst du sein!«, war alles, was er zwischen zusammengepressten Kiefern hervorquetschte. Samuel gönnte ihm nur ein kaltes Lächeln, ehe er in spöttischem Tadel den Kopf schüttelte. »Aber, aber ... Wenn man es genau nimmt, Vourdranj, warst du es, der das alles ein wenig beschleunigt hat. Wären du und dein feiner Bruder nicht hier aufgetaucht, hätte ich der Kleinen mehr Zeit gelassen. Aber so ... Wer weiß, was du den Fürsten alles berichtet hast.«
Julien biss die Zähne fester zusammen. »Die Fürsten wissen von nichts. Sie haben auch keine Ahnung, dass ich hier bin.« Seine ganze Haltung zeugte davon, wie sehr ihm jedes Wort widerstrebte.
»Jetzt plötzlich doch gesprächig. Vor zwei Nächten hast du mich noch angespuckt, als ich dich danach fragte. - Welche Garantie habe ich, dass du mich nicht anlügst, Vourdranj? Gründe hast du doch genug dazu.«
»Ich lüge nicht. Weder Adrien noch ich haben den Fürsten bisher berichtet. Sie wissen nicht einmal, dass ich aus der Verbannung zurückgekommen bin.« Er blickte zu mir und sah dann abermals zu Samuel auf. »Es gibt keinen Grund, warum du ihr nicht mehr Zeit lassen kannst.«
Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass er um mein Leben bettelte.
Samuel verdrehte mit einem theatralischen Seufzen die Augen zur Decke und legte die Hand auf sein Herz. »Ah, die Liebe. Sie lässt uns Gesetze brechen, unsere Ehre opfern und sogar vor unseren feinden kriechen«, deklamierte er pathetisch, ehe er sich zu Julien hinabbeugte. »Du irrst dich, Vourdranj. Es gibt einen Grund: dich! Deine Familie ist fast so alt wie ihre. Ich wäre ein Narr, mir diese Chance entgehen zu lassen.«
Auch wenn ich nicht verstand, was er meinte, Julien tat es. Seine Augen zuckten für eine halbe Sekunde zu mir, dann sah er ihn wieder an und nickte. »Lass ihr mehr Zeit und ich mache keinen Ärger.« Es klang, als würde er einen Handel vorschlagen.
Samuel lachte und schien für einen kurzen Moment sogar darüber nachzudenken, ehe er sich wie vertraulich noch ein Stück weiter vorbeugte. »Ein verlockendes Angebot, Vourdranj. - Die Antwort ist Nein.«
Julien schoss mit gebleckten Zähnen vor. Er verfehlte Samuels Kehle um Haaresbreite, und auch das nur, weil der im allerletzten Augenblick mit einem Fluch zurücktaumelte. Sekundenlang funkelten sie sich über kaum einen Meter Distanz hinweg an. Auf Juliens Lippen lag ein arrogantes und zugleich gefährliches Grinsen, das keinen Zweifel daran ließ, dass er Samuel getötet hätte, wäre er ihm nur nahe genug gekommen. Er hatte diese andere, dunkle Seite seines Wesens bisher gut vor mir verborgen. Vielleicht hatte er gefürchtet, ich könnte mit ihm nichts mehr zu tun haben wollen, wenn ich sie kannte. Zugegeben, sie erschreckte mich. Aber - es erstaunte mich selbst - sie machte mir keine Angst. Und sie änderte auch nichts an meinen Gefühlen für ihn.
Der Ausdruck von Hass und Verachtung in Samuels Gesicht war da etwas ganz anderes.
Mit einem geknurrten »Das wirst du bereuen,
Vourdranj«, entspannte er sich mit sichtlicher Mühe und wischte eine imaginäre Fluse von seinem Anzug. Das Lächeln war auf seine Züge zurückgekehrt, als er mir die Hand hinstreckte.
»Komm mit nach oben, Dawn«, dieses Mal waren seine Worte eindeutig keine Bitte mehr, sondern ein Befehl.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf und machte einen Schritt zurück und gleichzeitig weiter zu Julien hin.
»Wie du meinst.« Sein Lächeln verwandelte sich in blanken Hohn. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich habe ein Déjà-vu.« Er bedachte mich mit einem verächtlichen Blick. »Deine Mutter war genauso dumm wie du, Mädchen. Sie wollte deinen Vater auch nicht verlassen. Sie ist sogar noch mit einem Brieföffner auf mich losgegangen, als er schon tot am Boden lag.« Mit einem Schulterzucken wandte er sich von mir und Julien ab.
»Dann schlage ich vor, du machst es dir hier unten gemütlich, bis ich wiederkomme.« Schon halb auf dem Weg zur Treppe hielt er noch einmal inne und sah zu mir zurück. »Nur damit du dir keine falschen Hoffnungen machst,
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