Der Kuss Des Daemons
darauf an und begann es in fliegender Hast zu durchsuchen. Außer einer ledernen Schreibunterlage, einem teuren Füllfederhalter und der Lampe war die polierte Tischplatte leer - abgesehen von der CognacKaraffe mit ihrem roten Inhalt und dem noch immer halb vollen Glas. Mit einem Schaudern riss ich den Blick davon los
und
durchwühlte
die
Schubladen.
Schweres
handgeschöpftes Papier, edel aussehende Briefumschläge, sogar etwas, was nach einem Siegel und Wachs aussah, und ein Brieföffner in Dolchform. Außerdem rutschten mir eine Einwegspritze, auf deren Nadel die Plastikkappe wieder aufgesteckt worden war, und ein Medikamentenfläschchen entgegen, auf dem »Ketamin« und eine Milligrammangabe standen. Ketamin war ein Beruhigungsmittel, das wusste ich. Wofür hatte Samuel es benötigt? Ich verbannte die Frage als nicht wichtig aus meinen Gedanken und wandte mich der untersten Schublade zu. Sie war verschlossen. Ich vergaß alle Skrupel, schnappte mir den Brieföffner und versuchte sie aufzuhebeln. Es brauchte mehrere Anläufe, aber dann sprang sie mit einem unwilligen Knacken auf. Das Holz hatte eine hässliche Kerbe davongetragen. Papiere lagen darin, amtlich aussehende Dokumente, die - so vergilbt, wie sie waren - schon etliche Jahre alt sein mussten. Einige davon waren tatsächlich mit metallenen Büroklammern zusammengeheftet. Ich zog sie ab, ohne mich darum zu kümmern, ob man später noch würde erkennen können, welches Blatt zu welchem gehörte, und kehrte zu Julien zurück.
Mit merklicher Ungeduld nahm er mir eine der Klammern ab, bog sie auf und für seine Zwecke zurecht.
»Warum hast du nicht schon früher versucht zu fliehen?«, fragte ich, während ich ihn dabei beobachtete. Er schien genau zu wissen, was er tat.
»Weil ich nicht an das hier rangekommen bin.« Mit einem bitteren Lächeln hob er die verbogene Klammer, dann wurde seine Miene hart. »Und weil Samuel mich mit irgendeinem Zeug betäubt hat, als er zu dem Schluss kam, dass ich ihm trotz des guten Zuredens seiner Männer nicht erzählen würde, was er wissen wollte. Ich könnte dir noch nicht einmal sagen, wie lange ich schon hier unten bin. Ehe du aufgetaucht bist, war ich die meiste Zeit ziemlich weggetreten.«
Ich schluckte. Dafür also hatte Samuel das Ketamin gebraucht.
»Meinem Durst nach zu schließen müssten es aber zwei oder drei Nächte gewesen sein.« Julien schüttelte die Kette aus dem Weg, dann versuchte er das zurechtgebogene Ende der Drahtklammer in eines der Schlösser seiner Handschellen zu schieben. Sic saßen so eng, dass ihm nicht das geringste bisschen Bewegungsspielraum blieb. Zudem ließ das Scharnier, das sie verband, es nur zu, dass er sie in eine Richtung bewegte. Erst beim vierten Versuch hatte er Erfolg.
»Heute ist die dritte Nacht.« Ich lehnte mich vor, um besser sehen zu können, was er tat.
»Aha.« Ein Blick und ein vermutlich unbewusstes Kräuseln seiner Oberlippe ließen mich auf etwas mehr Distanz gehen.
»Entschuldige«, murmelte ich schuldbewusst. Dass Julien für mich eine Gefahr darstellen könnte, wollte absolut nicht in meinen Kopf - selbst nach dem, was ich gesehen hatte.
»Schon gut. - Wie hast du mich eigentlich gefunden?« Er stocherte mit der Klammer im Schloss herum und fluchte, als sie unversehens herausrutschte und seinen Fingern entglitt. Sie war außerhalb seiner Reichweite gelandet. Ich hob sie auf und gab sie ihm zurück.
»Ich wollte mit dir reden, weil ... weil ich dachte, du hättest mit mir Schluss gemacht.«
Julien zuckte zusammen, schwieg aber und versuchte erneut das zurechtgebogene Ende im Schloss zu versenken.
»Aber du warst zwei Tage nicht in der Schule und auf deinem Handy warst du auch nicht zu erreichen. Also bin ich zum Anwesen rüber, um dort mit dir zu reden. Als da jedoch alles darauf hinwies, dass du gar nicht mehr zu Hause warst, nachdem du ...« Ich zögerte, ehe ich weitersprach. »Na ja, da hab ich mir Sorgen gemacht.«
Julien schwieg noch immer. Inzwischen hatte er offenbar den gesuchten Punkt im Inneren des Schlosses gefunden, denn er bewegte den Draht jetzt auf eine andere Art. Er sagte nichts dazu, als ich ihm gestand, dass ich den Kellerraum unter der Speisekammer entdeckt hatte - und dass ich in seinen Sachen nach einem Hinweis gesucht hatte, warum er verschwunden sein könnte.
»Weil ich dachte, die anderen Lamia hätten irgendwie von uns erfahren und dich geholt, wollte ich sogar meinen Onkel um Hilfe bitten.«
Julien schnaubte voll
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