Der Kuss Des Daemons
Parkplatz. Nach der Mittagspause wartete ich sogar vor dem Physikraum auf ihn. Er kam nicht. Neal jedoch, der im gleichen Kurs war, warf mir einen frustrierten und zugleich irgendwie ärgerlichen Blick zu, als er mich an der Tür stehen und ziemlich offensichtlich nach jemandem Ausschau halten sah. Aber er versprach mir DuCraine auszurichten, dass ich nach ihm suchte, falls er ihn traf. Der Ton, in dem er das sagte, gefiel mir nicht. Neal hatte DuCraine schon zuvor nicht leiden können, doch seit gestern schien daraus eine ernsthafte Abneigung geworden zu sein. Mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Magengegend trollte ich mich in Geschichte, nur um zu erfahren, dass Mr Taylor auf die Idee gekommen war, ich sollte mein Referat über die Tempelritter schon nächste Woche halten. Etwas, was er sich absolut nicht wieder ausreden ließ.
Entsprechend
frustriert
ließ
ich
mich
in
der
darauffolgenden Chemiestunde auf meinen Platz neben Susan fallen. Mrs Squires kam gerade mit einem Tablett voller Chemikalienflaschen und Laborgeräten aus dem Vorbereitungsraum. Sie begrüßte uns mit einem Lächeln und räumte den Teil ihrer Utensilien, den sie für den ersten Versuch der heutigen Stunde benötigte, auf die gekachelte Arbeitsfläche ihres Experimentiertisches. Ein wenig unwillig sah sie zur Tür, als es klopfte. Auf ihr »Ja, bitte« streckte Mrs Nienhaus, unsere Schulsekretärin, den Kopf herein und winkte sie zu sich. Wir wurden mit einem Blick bedacht, der sich deutlich Ruhe ausbat, ehe Mrs Squires zur Tür ging. Einen Augenblick sprach Mrs Nienhaus auf sie ein und gestikulierte dabei ein paarmal auf den Gang hinaus. Schließlich nickte Mrs Squires ihr Einverständnis zu irgendetwas und die Sekretärin verschwand wieder. Kopfschüttelnd kehrte Mrs Squires zu ihrem Tisch zurück und sah uns an.
»Wie ihr vielleicht wisst, geht es Mr Harlens Tochter seit einiger Zeit nicht besonders gut«, begann sie. Wir murmelten
zustimmend.
Mr
Harlen
unterrichtete
Mathematik und Physik und war einer der beliebtesten Lehrer der Schule. Natürlich wussten wir davon – wobei
»nicht besonders gut« die Untertreibung des Jahrhunderts war. Mr Harlens kleine Tochter litt an Leukämie im Endstadium. Seine Frau hatte er vor drei Jahren bei einem Autounfall verloren. Seit über einem halben Jahr bestand seine Welt nur noch aus unserer Schule und dem Krankenhaus.
Mrs Squires hob Ruhe gebietend die Hand. »Offenbar hat er gerade einen Anruf aus dem Krankenhaus erhalten, dass es ihr schlechter geht. Er ist natürlich sofort zu ihr gefahren. Da im Augenblick keine Vertretung frei ist – und unser Kurs ziemlich klein ist -, hat Mrs Nienhaus mich gebeten, seinen Mathematikkurs für diese Stunde zu beaufsichtigen. Wir werden also Gäste haben. Rückt bitte zusammen. Vielleicht können wir die letzten beiden Reihen für die anderen frei machen? – Und damit keine Missverständnisse entstehen: Mein Unterricht findet wie geplant statt.«
Ein paar von uns stöhnten bei dieser Ankündigung. Doch wir nahmen alle gehorsam unsere Sachen und quetschten uns in den ersten beiden Tisch reihen zusammen. Ein neuerliches Klopfen an der Tür kündigte schließlich die anderen an. Was sie davon hielten, anstatt einer Freistunde bei uns in Chemie gelandet zu sein, war ihnen nur zu deutlich anzusehen. Unter den Letzten, die den Raum betraten, war Julien DuCraine. In der gleichen Sekunde, in der ich ihn entdeckte, wandte er den Kopf und ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte. Ich konnte sehen, wie er die Lippen zu einem unwilligen Strich zusammenpresste, ehe er mit den anderen seines Kurses die Stufen zu den beiden hinteren Reihen hinaufging. Er wirkte blasser als sonst und seltsam angespannt. Unter Stühlerücken und Murmeln verteilten sie sich hinter uns. Da an den Tischen nicht genug Platz für alle war, ließen sich einige auf den Treppenstufen nieder. Ein hastiger Blick über die Schulter zeigte mir, dass Julien einer von ihnen war.
Mrs
Squires
hatte
sich
bei
ihren
Versuchsvorbereitungen von der Ankunft unserer Gäste nicht stören lassen. Von einem Tondreieck gehalten, das wiederum auf einem Dreifuß ruhte, schwebte jetzt ein Blumentopf, der ein Loch im Boden harte, über einer sandgefüllten Porzellanschale. Etwas, was aussah wie eine Lunte, ragte aus dem Gemisch im Inneren des Blumentopfes. Die Chemikalien, die sie verwendet hatte, standen bereits wieder bei den übrigen, sodass man noch nicht einmal vermuten konnte, woraus der
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