Der Kuss Des Daemons
»Ich habe für dich getötet. Aber dir könnte ich nichts tun, auch wenn mein Leben davon abhinge. Was auch immer duvon mir denkst.«
»Ich weiß«, sagte ich schlicht. Seine Augen weiteten sich, ohne sich aus meinen zu lösen - endlos, wie es mir schien -, ehe er sich abwandte und ans Fenster trat. Ein paar Minuten beobachtete ich ihn, wie er schweigend dastand und vor sich hin starrte. Schließlich wagte ich es, mich zu räuspern.
»Was wird geschehen, wenn die anderen ... Lamia herausfinden, dass du mich nicht getötet hast?«
»Sie werden jemanden schicken, der uns beide töten soll.« Er sah mich nicht an.
Ich zog die Schultern hoch.
»Wenn ich schon Gefahr laufe, ermordet zu werden, einzig weil ich herausgefunden habe, was du bist, denkst du nicht, es wäre dann nur fair, wenn ich wenigstens auch den Rest der Geschichte kenne?«, erkundigte ich mich nach einer weiteren Minute des Schweigens.
Julien bedachte mich mit einem Blick aus dem Augenwinkel. Als er sich schließlich zu mir umdrehte und gegen den Fensterrahmen lehnte, hatte er mich so lange einfach nur angesehen, dass ich dachte, er würde mir überhaupt nicht mehr antworten. »Du hast recht. Wenn du schon gehängt wirst, weil du den Hasen geschossen hast, solltest du ihn auch essen dürfen.«
Vermutlich hatte ich bei dem seltsamen Vergleich ein ziemlich verwirrtes Gesicht gemacht, denn ich glaubte ein flüchtiges Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen, während er die Arme über der Brust verschränkte. »Womit soll ich anfangen?«
»Vielleicht damit, was der Unterschied zwischen einem Vampir und einem Lamia ist?« Jetzt, da er mir erlaubte, Fragen zu stellen, fühlte ich mich mit einem Mal seltsam befangen.
Er nickte. »Der bedeutendste Unterschied ist: Wir sind so geboren. - Sie werden von uns geschaffen.«
»Geboren?«, echote ich verblüfft, was Julien erneut ein kurzes Lächeln entlockte.
»Lamia werden wie ganz normale Menschenkinder geboren. Erst zwischen unserem zwanzigsten und fünfundzwanzigsten Jahr verändern wir uns. Ab diesem Zeitpunkt hören wir auf zu altern und ernähren uns nur noch von Blut.«
Ich schluckte. »Menschenblut?«
»Menschenblut«, bestätigte Julien.
»Und Tierblut ...«
Er schüttelte den Kopf. »Wir können für eine kurze Weile von Tierblut leben. Aber es stillt den Durst nicht. Im Gegenteil. Es facht ihn zusätzlich an. Irgendwann ist die Gier dann übermächtig und wir können nicht anders, als ihr nachgeben und wieder das Blut von Menschen trinken. Aber es ist schwer, sich zu beherrschen, wenn einem der Durst in den Adern brennt und es nur noch darum geht, diesen wahnsinnigen Schmerz zu lindern. Die wenigsten unter uns sind dann stark genug, um aufzuhören, solange das Herz ihrer Beute noch schlägt und genügend Blut in ihrem Körper übrig ist, damit sie überleben kann.«
»Bedeutet das, ihr tötet eure Opfer normalerweise gar nicht?«, fragte ich erstaunt.
Er schnaubte. »Natürlich nicht. Unsere Gesetze verbieten es. Es würde zu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn ständig irgendwelche blutleeren Leichen gefunden
würden.
Normalerweise trinkt ein Lamia nur jede dritte oder vierte Nacht. Je länger man es hinauszögert, umso mehr braucht man. Vampire müssen häufiger trinken. Aber auch sie töten ihre Opfer gewöhnlich nicht.«
»Wie oft trinkst du?«
»Seit ich mit dir zusammen bin, jede Nacht. - Und mehr, als ich eigentlich brauche.« Julien presste die Lippen zusammen. »Noch eines unserer Gesetze, das ich deinetwegen breche.«
Ich verdrängte das vage Gefühl von Schuld, dass sich in meinem Gewissen meldete. »Hast du von jemandem getrunken, den ich kenne?«
»Vereinzelt.« Julien sah mich nicht an.
Eine seltsame Ahnung beschlich mich. »Von wem?«
Erst nach einer weiteren Sekunde nannte er mir die Namen der Mädchen, mit denen er zusammen gewesen war - und Susan und Beth.
»Du hast Beths und Susans Blut getrunken?« Ich war fassungslos.
Julien beantwortete meine Empörung mit einem
Achselzucken. »Dawn, wenn ich von jemandem trinke, hat das absolut nichts zu bedeuten.«
»Es hat etwas zu bedeuten! Du hast von meinen Freundinnen getrunken.« Erstaunt stellte ich fest, dass ich eifersüchtig auf die beiden war. Ich wechselte hastig das Thema. »Warum müssen Vampire häufiger trinken als Lamia?«
Für eine Sekunde runzelte er die Stirn.
»Weil sie schwächer sind als wir. Im Gegensatz zu uns können sie sich auch nicht im Tageslicht bewegen. Wenn sie damit in Berührung kommen,
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