Der Kuss des Jägers
leise, dann stärker. »Was für ein elender Mistkerl! Wie kann er dir
das antun?«
»Ich hab’s doch nicht besser verdient«, wimmerte Lara. »Bestimmt ist
sie viel interessanter als ich – und nicht so bescheuert anhänglich.«
Sophie wünschte, sie wäre Kafziel und hätte ein Spielzeugauto mit
einer Voodoopuppe von Stefan darin, um es kräftig durchzuschütteln. »Das ist
totaler Quatsch! Wenn einer von euch beiden ein blöder Langweiler ist, dann ja
wohl er! Ich wollt’s dir nicht sagen, weil du so verliebt warst, aber ich fand
ihn von Anfang an öde.« Das stimmte zwar nicht ganz – sie hatte bei ihrer
ersten Begegnung lediglich nicht gewusst, was sie mit ihm reden sollte –, aber
bevor sich Lara für dröge hielt, waren auch kleine Notlügen erlaubt.
»Aber es ist doch immer dasselbe«, heulte Lara. »Immer hab ich
Angst, dass sie mich verlassen, und dann passiert’s auch.«
»Immer? Du tust gerade so, als ob du schon hundert Mal sitzen
gelassen worden wärst. Es waren nur zwei Idioten – und das mit Lars war in der
siebten Klasse. Das zählt nicht!«
»Aber jetzt war es zweimal hintereinander! Irgendwas mach ich
einfach falsch.«
»Blödsinn! Hör auf, dir die Schuld zu
geben! Sag bloß, dass er dir das eingeredet hat.«
»Na ja, er meinte, es sei einfach so passiert. Sie würden eben viel
besser zusammenpas…« Das letzte Wort ging wieder in einem Schluchzen unter.
»Da hast du’s! Er hat eine gefunden, die so langweilig ist wie er.
Du hast was Besseres verdient, Lara! Einen, der witzig ist und intelligent –
und der lieber mit dir nach Paris fährt, als daheim auf der Couch zu sitzen.«
»Das sagst du nur, weil du meine Freundin bist.«
Ihr Handy meldete mit einem Piepen eine neue SMS .
Raphael? Sie wagte nicht zu hoffen, dass sie von Jean sein könnte, aber von wem
sie auch kam, Lara brauchte sie jetzt dringender. »Was soll das heißen? Ich
kann das nicht beurteilen, nur weil ich deine Freundin bin?«
»Nein, du … ach, ich weiß auch nicht. Findest du wirklich, dass ich
nicht langweilig bin?«
»Tut mir leid, aber dazu bist du viel zu aufgedreht und
unternehmungslustig. Wahrscheinlich konnte er einfach nicht mit deinem Tempo
mithalten. Denk nur mal dran, wie du mich nach Rafes Tod immer aufgemuntert
hast.«
»Viel geholfen hat’s aber nicht.«
»Quark! Okay, ich war trotzdem traurig, aber ohne dich wäre ich gar
nicht mehr vor die Tür gegangen. Und ich hätte bestimmt kein einziges Mal
gelacht.«
Lara schwieg. Leises Pfeifen ihres Atems verriet, dass ihre Nase
zugeschwollen war. »Warte mal, ich muss mich schnäuzen.«
»Ja, klar.« Hoffentlich fiel ihr dabei kein neuer Grund ein, warum
sie nicht liebenswert sein könnte. Von wem wohl die SMS kam? Würde Kafziel ein drittes Mal versuchen, sie in eine Falle zu locken? Sie
wusste immer noch nicht, wie sie reagieren sollte, falls sie wieder eine
Nachricht bekam, die sie zu irgendeinem Treffpunkt bestellte.
»Bist du noch dran?« Lara klang, als ob sie sich die Nase zuhielt,
und dazu ein wenig heiser.
»Natürlich. Aber ich wünschte, ich könnte jetzt bei dir sein, um
dich zu trösten. Was machen deine Parispläne? Vergiss den Blödmann! Wir machen
uns hier eine schöne Zeit.« Das sind Versprechungen … Sie setzte sich auf die Türschwelle vor Madame Guimards Haus, die letzten
Sonnenstrahlen auf dem Gesicht. Eine schöne Zeit zwischen
Verhörzimmern und Schwefelgestank.
»Ich weiß nicht. Soll ich wirklich kommen? Im Moment bin ich keine
große Hilfe, fürchte ich.«
»Unsinn. Du willst dich bloß mit deinem Kummer verkriechen. Rate
mal, von wem ich das kenne. Auf den Trick fall ich nicht rein.«
Lara prustete, auch wenn es sich wieder verdächtig nach Schluchzen
anhörte. Dann schnaufte sie, als habe das Lachen sie angestrengt. »Aber
ausgerechnet Paris. Die Stadt der Liebe.«
»Gerade deshalb!«, rief Sophie enthusiastischer, als sie sich
fühlte. »Hier wimmelt es von gutaussehenden Männern. Wetten, dass du dich vor
Verehrern kaum retten können wirst?«
»Du meinst jetzt hoffentlich nicht solche Typen, die im Knast sitzen
oder auf der Flucht sind.«
Sophie musste lachen. »Das ist ja bloß mein verkorkster Geschmack. Für dich hätt ich ein paar schneidige Polizisten im
Angebot.«
Lara kicherte, bevor sie wieder ein Schniefen überkam. »Ach, Soph,
ich weiß nicht, ob ich so schnell schon einen draufmachen kann. Du hast doch echt
genug Sorgen ohne mich.«
»Du steigst morgen früh in den Zug, verstanden? Ich
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