Der Kuss Des Kjer
kauerte er sich schließlich hin, fuhr mit den Fingern über den Stein, ehe er Hauptmann Uladh herbeirief.
»Wisst ihr, woher das stammt?« Er wies auf tiefe Kratzspuren in der Mauer, etwa einen Schritt über dem Boden.
Uladh kniete sich neben ihn, schüttelte nach einem Moment den Kopf, beobachtete, wie Mordan mit den Fingern seiner Hand die Furchen nachfuhr, als wolle er sich von etwas überzeugen. Langsam stand er schließlich auf, nahm einem der verblüfften Männer eine Fackel aus der Hand und schritt die Mauern noch einmal ab. Hauptmann Uladh behielt ihn aufmerksam im Auge. Als er keine weiteren Spuren an den Wänden fand, trat er an den Brunnen und untersuchte die Außenseite. Die Soldaten der Stadtwache machten ihm nur widerwillig Platz. Dann beugte er sich über den Brunnenrand und stieß nach einem Moment ein scharfes Zischen aus. Der Hauptmann erhob sich und kam herüber.
»Was habt Ihr gefunden?«
Mordan wies auf ähnlich tiefe Krallenspuren, wie er sie auf der Mauer entdeckt hatte. Nur dass dieses Mal ganz deutlich die Spuren von vier solcher Kratzfurchen auf der Innenseite der Brunnenwand zu erkennen waren.
»Was auch immer dort unten ist - es hat vier Klauen; mit Krallen, die sogar Stein zerfetzen können. Und es war nicht allein.«
Mit schmalen Augen sah Hauptmann Uladh ihn an. »Wie kommt Ihr darauf?«
»Glaubt Ihr, dieses Ding - was auch immer es war - tötet drei Menschen und springt dann in die Tiefe des Brunnens, versucht sich aber noch an der Mauer festzukrallen und wieder über den Rand zu kriechen? Klingt für mich nicht besonders vernünftig.«
Er beugte sich vor und spähte in die dunkle Brunnentiefe.
»Ihr habt recht. Als man die Leichen fand, lag Ismars Schwert gezogen neben ihm, an der Klinge war Blut. «
Mordan nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. » Er hat also einen der Angreifer verletzt, ihn - oder vielleicht auch einen anderen - über den Brunnenrand in die Tiefe befördert, aber dann haben sie ihn und seine Schwester getötet. Es waren also mindestens zwei. «
»Ein Gedanke, der mir nicht gefällt, Krieger. - Aber wenn ich Euch so anschaue, gefällt er Euch scheinbar noch weniger. Wisst ihr, was uns dort unten erwartet?«
Anstelle einer Antwort schüttelte Mordan den Kopf.
»Nun gut.« Hauptmann Uladh griff nach dem Seil, das einer seiner Männer ihm hinhielt. »Dann wollen wir einmal herausfinden, was dort unten ist.« Er hob die Hand, als der schwarzhaarige Krieger nach dem zweiten Seil fasste. »Ihr bleibt hier! - Das ist ein Befehl! «
Ein sturmgraues Auge wurde schmal. »Was bringt Euch dazu, anzunehmen, dass ich Euren Befehlen gehorche?« Für einen kurzen Moment blitzten die Spitzen seiner Eckzähne im Licht.
»Nun, Krieger, der Umstand, dass sich fünf meiner Männer in diesem Raum aufhalten, Ihr aber allein seid.«
Mordan presste die Lippen zusammen und stieß sich vom Brunnenrand ab. »Wie Ihr meint! - Aber ich an Eurer Stelle würde eine Fackel mit hinunternehmen. - Und ich würde es vermeiden, Wasser zu schlucken. «
Als der rotbraune Schopf des Hauptmanns wenig später in der Tiefe verschwand, schaukelte neben ihm ein Eimer in der Dunkelheit, in dem eine Fackel brannte.
Die gedämpften Laute, die von unten zu hören waren, ließen sich nicht deuten, doch als er eine ganze Zeit später wie, der über den Brunnenrand kletterte, war sein Gesicht fahlgrün. Er nickte Mordan zu, während er sich über die Mauer schwang.
Aus seinen Kleidern floss Wasser. »Ihr hattet recht, es hat vier Klauen.« Dann wandte er sich seinen Männern zu. »Macht das Netz bereit! Einer von euch wird mich hinunterbegleiten und mir mit dem Ding helfen. Es hängt ziemlich tief im Wasser und die Strömung drückt es mit aller Macht gegen die Gitter.« Keiner der Soldaten schien von der Vorstellung begeistert, in den Brunnen zu klettern, und letztendlich musste ihr Hauptmann einen benennen, doch wenig später ließen sich die beiden Männer erneut in die Tiefe hinab.
Nach einer schier endlosen Zeit kam das Zeichen, das Netz wieder emporzuholen.
Die Brunnenwinde hatte sich gerade zwei Mal gedreht, als von unten ein grauenvoller Schrei erklang. Die Männer erstarrten, blickten einander entsetzt an, zogen das Netz aber nach einem weiteren Zögern langsam herauf und hievten das triefende Ding neben den Brunnen. Wasser rann trüb über den Boden, über allem lag unvermittelt ein schier erstickender Verwesungsgestank, einer der Soldaten schlug die Hand vor den Mund und
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