Der Kuss Des Kjer
Er schüttelte den Kopf. Nicht dran denken!
Er tauchte die Finger in den Wundbalsam, verteilte es auf die beiden Verletzungen und legte den Verband wieder an. Dann machte er sich daran, die Kerzen zu löschen.
Sein Blick fiel auf die Asran6h am Boden. Ohne dass er es merkte, ballte seine Linke sich zur Faust. Nach einem kurzen Moment bückte er sich und hob das Instrument auf Es war in einem erbärmlichen Zustand! Die kleinere der beiden Schallrosetten war aus der Decke herausgebrochen und fehlte. Die feinen Ornamente der größeren waren zum Teil beschädigt, sodass einige hässliche Löcher in ihr klafften. Früher hatten Perlmuttarbeiten den Rand geschmückt - sie waren beinah vollständig abgeplatzt. Die Decke selbst hatte mehrere Trockenrisse und war von Kratzern überzogen. Nur die beiden gebogenen Hälse, mit den eingesetzten Bünden aus Elfenbein, und die fein geschnitzten Wirbelbretter mit ihren jeweils sechs abwechselnd weißen und schwarzen Wirbeln an den Seiten waren bis auf ein paar wenige Schrammen unversehrt.
Sacht strich er über die Saitenbündel und stimmte die ersten beiden, ohne es selbst zu bemerken. Er hatte nie einen Stimmstab benötigt, auch nicht für die Asranéh.
Schon bei den Kessanan war Musik seine Leidenschaft gewesen und später hatte er beinah jeden Abend für Jarat auf diesem Instrument gespielt - bis Jerdt ihm bei einem >Unfall< die linke Hand gebrochen hatte. Zwei Schläge waren es gewesen ...
Und natürlich zweifelte niemand an den Worten eines Tribun.
Die vier Knochen in der Handfläche und die erste Reihe der Fingerglieder war glatt durch gewesen. Zum Glück waren die Gelenke selbst unversehrt geblieben. Jarat hatte getobt und dem Kriegsheiler befohlen, die verletzten Knochen wieder zu richten.
Der Mann war schockiert gewesen, dass er sich um einen wie ihn kümmern musste, aber wenn der erste Heerführer sein Hätscheltierchen gepflegt haben wollte, dann tat man besser, was er verlangte.
Die Hand war fast zwei Mondläufe bandagiert und geschient gewesen. Doch anstatt ihn in den Pferch zurückzuschicken, wie Jerdt es gerne gesehen hätte, hatte Jarat ihn bei sich behalten. Da seine Rechte unverletzt war, konnte er ihm noch immer als Sekretär dienen und andere einfache Arbeiten verrichten.
Mit der Zeit war die alte Kraft und Geschicklichkeit in die Hand zurückgekehrt - doch seine Finger hatten einen Teil ihrer raschen Beweglichkeit verloren, die nötig war, um eine Asran6h perfekt spielen zu können - er hatte es nie wieder versucht. Mit einer Mischung aus Zorn und Bedauern stellte er das Instrument wieder auf den Boden.
Ohne es zu wissen, hatte Jerdt ihm etwas genommen, was er geliebt hatte. Doch er hatte dafür Jarats Gunst verloren, denn der erste Heerführer schätzte es nicht, wenn einer seiner Offiziere etwas beschädigte, das ihm nützlich war! Das hatte er Jerdt nach diesem Vorfall mehr als einmal zu verstehen gegeben.
Jarat! - Von keinem Menschen hatte er in seinem Leben mehr Prügel bezogen als von Jarat rün Da16hr; noch nicht einmal von Arkell. Doch Jarat hatte nie ohne Grund gestraft und es war immer möglich gewesen, seine Befehle zu befolgen - auch wenn es bei manchen sehr schwer gewesen war. Seine Hand legte sich gegen den Mittelpfosten. Unzählige Stunden hatte er hier auf den Knien gelegen, die Augen auf den Boden gerichtet, und hatte auf Befehle gewartet, ein Fingerschnippen oder nur einen Wink ... Es war verrückt, aber irgendwann hatte er angefangen, Jarat auf eine seltsam verdrehte Art zu lieben. Für ein freundliches Wort oder ein anerkennendes Nicken von ihm hätte er getötet ...
Von draußen drang das Bellen eines Hundes herein und riss ihn aus seinen Gedanken. Diese Zeiten waren vorbei!
Er nahm die Hand vom Mittelpfosten, fuhr sich müde durchs Haar und löschte die letzten Kerzen. Dann entledigte er sich auch noch der Stiefel und Hosen, wusch sich rasch und kroch neben die junge Heilerin unter die Decken. Im Schlaf wandte sie sich ihm zu, ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als er sie behutsam in den Arm nahm.
Wie in der Nacht zuvor legte sie den Kopf auf seine Schulter und schmiegte sich an ihn. Bis kurz vor Morgengrauen lag er wach, betrachtete ihre Züge und genoss es, sie zu spüren. Schließlich schlief auch er ein.
»Heilerin! Aufwachen! «
Eine Hand rüttelte hartnäckig an ihrer Schulter, weckte ein leises Ziehen in ihrem Rücken. Hatte sie den Klang der Asranéh in der Nacht nur geträumt? Müde blinzelnd öffnete sie die
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