Der Kuss des Meeres
Herrschaftszeremonie verpasst, Majestät«, sagt Galen.
Groms Mundwinkel verzieht sich zu einem Beinahe-Grinsen. » Ein Jammer, dass Vater sein Versprechen nicht gehalten hat, dir die Zunge herauszuschneiden, kleiner Bruder. Ich dachte, diesmal würde er es vielleicht wirklich tun.«
Galen lacht. » Das habe ich auch gedacht. Aber Rayna hat darauf bestanden, dass ich meine Zunge noch ein Weilchen behalte.«
» Du bist gut beraten, dafür zu sorgen, dass sie zufrieden ist. Ohne sie wärest du inzwischen tot, enterbt oder beides. Ich denke, sie verdient eine ganz besondere Reise in die Tropen als Dank für ihre Bemühungen.«
Galen kichert. Raynas Lieblingsort, um nach menschlichem Schrott zu suchen, befindet sich entlang der üblichen Kreuzfahrtrouten im Golf von Mexiko. Sie beharrt darauf, dass die Passagiere ihr Hab und Gut absichtlich über Bord werfen, um einen kleinen Teil ihrer selbst zurückzulassen. Zumindest ist es das, was Rachel ihr erzählt hat. » Vielleicht kümmere ich mich darum. Wenn sie mit Toraf verbunden bleibt.«
Grom reißt den Kopf herum. » Sie hat Toraf akzeptiert?«
» Nein. Davon rede ich doch gerade. Sie will dich um eine Annullierung bitten.«
» Eine Annullierung wovon?«
» Ihres Verbindungssiegels.«
» Rayna und Toraf sind verbunden? «, fragt Grom. » Seit wann denn das?«
» Sehr witzig.«
Grom grinst süffisant. Galen versucht, sich seinen Bruder als achtzigjährigen Menschen vorzustellen. Graues Haar, mehr Runzeln, als eine Muschel Rillen hat, und ohne Zähne in seinem jungenhaften Grinsen. Aber als achtzigjähriger Syrena sieht er genauso jung aus wie Galen. Und hat sogar noch mehr Zähne, dank Toraf. Trotz allem ist er immer noch der Falsche für Emma. Zu gelassen, zu gesetzt, zu festgefahren in seinen Gewohnheiten, um mit einem Hurrikan wie Emma Maultier McIntosh fertigzuwerden.
» Ich habe mich lange genug auf den Tag gefreut, an dem Rayna zum Problem eines anderen wird«, meint Grom. » Aber ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen. Ich habe Toraf immer gemocht.«
» Also wirst du ihre Verbindung nicht auflösen?«
» Nicht einmal, wenn Toraf mich darum bittet. Es ist hier so friedlich ohne sie. Wo seid ihr beide überhaupt gewesen?«
Galen zuckt die Achseln. » Das Übliche.« Schuldgefühle nagen an seinem Gewissen wie Babykrabben. » Das Übliche« sind Besuche bei Dr. Milligan, um die neusten Meeresnachrichten zu erfahren. Oder einige Tage bei Rachel, um ihre jüngsten Errungenschaften in einem seiner Häuser unterzubringen. » Das Übliche« ist nicht, als Mensch zu leben, ihre Schulen zu besuchen, ihre Autos zu fahren oder ihre Kleider zu tragen.
» Hatte Dr. Milligan irgendetwas Interessantes für dich?«
» Ein paar Dinge. Aber nichts, worum man sich Sorgen machen müsste.«
Grom nickt. » Gut. Das Letzte, was ich brauche, sind noch mehr Probleme.«
Da erst bemerkt Galen, wie angespannt das Profil seines Bruders ist. Zusammengebissene Zähne, fest verschränkte Arme, strammer Bizeps. Weiße Knöchel, wo die Hände seine Oberarme so fest umfassen, dass die Finger in sein Fleisch drücken.
Galen versteift sich. » Was? Was ist denn los?«
Grom schüttelt den Kopf und versucht, sein Leid hinter einem Stirnrunzeln zu verbergen.
» Sag es mir.«
» Es ist vielleicht gar nichts«, erwidert Grom.
» Vielleicht, aber ich sehe dir doch an, dass etwas nicht stimmt.«
Sein Bruder seufzt. Er mustert Galen mit durchdringendem Blick. » Ich werde es dir sagen, kleiner Bruder. Aber zuerst musst du mir ein paar Dinge versprechen.«
» Was für Dinge?«
» Versprich mir, dass du Rayna in Sicherheit bringen wirst, ganz egal, was geschieht. Es ist mir egal, ob ihr den Rest eures Lebens als Menschen verbringen müsst, aber du musst unsere Schwester beschützen. Versprich es.«
» Grom…«
» Versprich es!«, brüllt Grom und lässt die Arme sinken.
» Du weißt doch, dass ich das tun werde.« Tatsächlich ist Galen beleidigt, dass sein Bruder es bezweifelt.
Grom nickt und entspannt sich. » Ich weiß. Aber ich musste es hören.« Er wendet den Blick ab, als er fortfährt: » Ich habe einem geheimen Treffen mit Jagen zugestimmt.«
» Du hast was? Hast du den Verstand verloren?« Als entfernter Cousin von König Antonis ist Jagen die treibende Kraft hinter der Verschwörung, die sich auf dem Hoheitsgebiet Poseidons zusammenbraut. Es ist offensichtlich, dass er es auf den Thron abgesehen hat, aber im Laufe der Jahrzehnte hat Antonis’ Starrsinn dafür
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