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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Erkältung.«
    Offenbar war ich es ihm nicht wert, in ganzen Sätzen mit mir zu sprechen.
    »Aber was soll ich denn tun, wenn sie wieder …?«
    »Ich verschreibe Ihnen etwas.«
    Er kramte einen Block aus seiner Tasche, schrieb etwas darauf, und ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass es sich dabei nur um ein Placebo handelte. Meine Hand war schweißnass, als ich das Rezept in der Hand hielt.
    »Danke«, murmelte ich – und ärgerte mich im nächsten Augenblick über mich. Warum bestand ich nicht energisch darauf, das ich mir Auroras Krampfanfall nicht eingebildet hatte? Warum ließ ich mich einfach von ihm abfertigen wie ein dummes kleines Mädchen?
    Im nächsten Augenblick öffnete sich allerdings wieder die Tür, und heraus kam jetzt eine Krankenschwester, die Aurora an der Hand führte.
    Sie wirkte bleich, aber als sie mich sah, rief sie freudig: »Mama!« und kam auf mich zugelaufen.
    Ich seufzte erleichtert, es schien ihr tatsächlich gut zu gehen. Ich breitete meine Arme weit aus, zog sie an mich und vergrub mein Gesicht in ihren rötlich braunen Haaren.
    »Mama, können wir nach Hause fahren?«
    Kurz zögerte ich, ob ich nicht doch noch eingehender mit dem Arzt reden sollte, aber dann überwog die Erleichterung, dass der Krampfanfall keine schlimme Ursache hatte. Sie wurde durchgecheckt, sagte ich mir, es wurde nichts gefunden, sie ist ganz gesund … Und war es nicht auch ein gutes Zeichen, wenn Aurora die Villa als ihr Zuhause bezeichnete? Das konnte doch nur bedeuten, dass sie sich dort wohl fühlte! Als ich mich aufrichtete, war der Arzt bereits verschwunden.
    Hand in Hand verließen wir das Krankenhaus. Die Heimfahrt verlief schweigend. Aurora blickte aufmerksam aus dem Fenster und betrachtete die Berge, die immer höher vor uns aufragten, dann schlief sie ein.
    Sie schlief auch dann noch, als wir die Villa erreichten. Der schwarze Mercedes stand nicht mehr davor, nur noch Reifenspuren im Kies erinnerten an den vormittäglichen Besuch. Umso erstaunter war ich, als ich nicht weit vom Gartentor entfernt Caspar von Kranichstein stehen sah. Er wirkte so steif, als habe er sich in all den letzten Stunden nicht gerührt. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie viel Zeit vergangen war. Wir hatten das Krankenhaus gegen Mittag erreicht, jetzt spann die Sonne ihre letzten roten Fäden.
    Ich blickte auf den Rücksitz, vergewisserte mich, dass Aurora immer noch schlief, und stieg dann möglichst lautlos aus dem Wagen. Caspar drehte sich zu mir um, als ich auf ihn zutrat. Sein Lächeln war freundlich, aber ausdruckslos, seine Augen wirkten in der Dämmerung noch abgründiger und schwärzer.
    Wo war sein Auto?, ging es mir durch den Kopf. Warum war er allein hier? Unmöglich konnte er die ganze Zeit vor der Villa gewartet haben – und vor allem: Was hatte ihn dazu bewogen? Ehrliche Sorge? Aber warum lächelte er dann so eigentümlich?
    Vielleicht hatte er von seinem Grundstück aus mein Auto kommen gesehen, überlegte ich, aber unmöglich hätte er so schnell hierherlaufen können, um mich zu empfangen.
    Er setzte zu einer Frage an, aber ehe er sie aussprach, erklärte ich hastig: »Meiner Tochter geht es gut, die Untersuchungen haben nichts … Schlimmes ergeben. Aber … aber es wäre mir lieber, Aurora würde Sie hier nicht sehen.« Ich fühlte mich in der Situation zu überfordert, um meine Worte in höfliche Floskeln zu kleiden. Meine Schroffheit verstärkte sein Lächeln jedoch nur.
    »Es freut mich sehr, dass es ihr besser geht«, meinte er, doch es klang nicht anteilnehmend, eher spöttisch.
    Meine Ratlosigkeit und mein Unbehagen wuchsen, aber ich versuchte mir beides nicht anmerken zu lassen. »Ich weiß nicht, was genau geschehen ist«, erklärte ich entschlossen. »Nur, dass die Begegnung mit Ihnen sie wohl sehr aufgewühlt hat. Herr von Kranichstein, vielleicht wäre es besser, wenn Sie nicht wieder hierherkommen würden.«
    Erneut konnte ich mich nicht überwinden, etwas freundlicher zu sein und meinen Worten ein ›Bitte!‹ hinzuzufügen.
    Es schien ihm nichts auszumachen.
    »Aber selbstverständlich!« Er hob seine Hände. Der Wind blähte seinen dunklen Mantel.
    Das Lächeln schwand von seinen Lippen, als er sich abwandte, aber in seinen schwarzen Augen schien es zu blitzen, als sei er ungemein vergnügt.
    Als er gegangen war, schlief Aurora immer noch.

    Ich weckte Aurora nur kurz, um sie ins Haus zu bringen. Kaum lag sie im Bett, schlief sie wieder ein. Lange saß ich neben ihr, betrachtete

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