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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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ihrem prüfenden Blick meinen Kopf. »Wir können hier nicht bleiben«, erklärte ich dann unvermittelt. Bis eben war mir das selbst noch nicht klar gewesen. Doch in dem Augenblick, da ich es aussprach, schien es mir die einzig sinnvolle Lösung zu sein. »Ja«, bekräftigte ich, »es war keine so gute Idee hierherzuziehen. Es war vielmehr ein großer Fehler! Ich halte es hier nicht aus, es … es geht einfach nicht. Ich werde heute noch packen, und dann fahren wir zurück nach Salzburg.«
    Die Falten auf Neles Stirn wurden tiefer. »Aber warum so überstürzt?«, rief sie überrascht. »Sophie, was hast du denn? Was ist passiert?«
    Ich antwortete nicht, sondern wollte mich an ihr vorbeidrängen, bereit, meinen Entschluss sofort in die Tat umzusetzen. Im Hauseingang traf ich auf Aurora. Sie schien schon länger hier gestanden zu haben, ohne sich bemerkbar gemacht zu haben. Nun schüttelte sie energisch den Kopf. Sie trug bereits ihr dünnes Nachthemd, ihre Füße waren nackt, die Arme von einer Gänsehaut überzogen.
    »Ab ins Bett!«, rief ich streng. »Du erkältest dich noch!«
    Sie schüttelte immer noch den Kopf. Dann sagte sie etwas, allerdings so leise, dass ich es kaum verstehen konnte.
    »Was?«, fragte ich verwirrt.
    »Wir müssen hierbleiben«, wiederholte sie. »Wir dürfen nicht nach Salzburg zurückfahren.«
    »Warum nicht?«
    »Bitte, Mama, bitte … ich will nicht zurück. Wir müssen hierbleiben.«
    Ihre Stimme klang so flehentlich, so als hinge ihr Leben davon ab, und brachte damit meinen Entschluss augenblicklich ins Wanken. Hilflos zuckte ich mit den Schultern. »Aber … «
    Noch ehe Aurora etwas sagen konnte, machte sich Nele für sie stark. »Siehst du! Aurora fühlt sich hier wohl!«
    Aurora starrte mich hoffnungsvoll an, Nele nickte mir aufmunternd zu. Schließlich war sie es gewesen, die mir den Ratschlag gegeben hatte, den Sommer hier zu verbringen.
    Gegen diese Übermacht fühlte ich mich hilflos.
    »Wir bleiben doch, oder?«, fragte Aurora. Ihre Stimme klang bittend.
    »Geh ins Bett und deck dich zu«, resignierte ich. »Und ja … meinetwegen … wir bleiben.«
    Später saß ich mit Nele bei einem Glas Wein zusammen – das hieß, sie trank den Wein, ich drehte lediglich das Glas in meinen Händen. Wieder lag es mir mehrmals auf der Zunge, ihr alles zu erzählen, und wieder konnte ich es nicht über mich bringen.
    »Wie kommst du denn mit deiner Arbeit voran?«, fragte Nele, nachdem ich bei allen anderen Themen, die sie angeschnitten hatte, nur mit einem spröden ›Ja‹, ›Nein‹ oder ›Weiß nicht‹ geantwortet hatte.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Es geht. Heute habe ich den ganzen Tag geschrieben.«
    Dass etwas Sinnvolles dabei herausgekommen war, bezweifelte ich, aber das sagte ich nicht laut.
    »So?«, meinte Nele vorsichtig. »Aurora meinte, du kämest nicht so gut voran.«
    »Bitte?«, ich war überrascht, dass Aurora mit Nele über meine Arbeit gesprochen hatte.
    Nele ging nicht darauf ein. »Ich weiß, ich weiß«, sagte sie schnell, »du hast es finanziell nicht nötig … Aber ich hatte immer den Eindruck, dass dir das Schreiben Spaß macht.«
    Woher wusste Aurora, wie es um meine Arbeit stand?
    »Ich habe im Moment keine Ruhe dafür«, meinte ich knapp.
    »Und siehst du«, Nele richtete sich auf, »genau das beunruhigt mich. Sophie, du hast dich immer gerne in deiner eigenen kleinen Welt verschanzt, aber so ängstlich wie jetzt warst du nie!«
    »Was meinst du?«
    »Mir ist aufgefallen, dass du Aurora anstarrst, als wäre sie aus zerbrechlichem Glas, als würde der kleinste Windhauch sie umwehen. Das tut ihr nicht gut, aber dir auch nicht. Du verbreitest richtig Panik, und … «
    »Du hast ja keine Ahnung, was passiert ist«, unterbrach ich sie aufgebracht. Ich holte tief Atem, wollte mir nun endlich alles von der Seele reden, aber Nele fuhr entschieden fort: »Ich habe Aurora nie so lebhaft gesehen, so fröhlich, so aufgeweckt. Sie scheint hier richtig aufzublühen … und du … du bist nur noch ein Schatten deiner selbst. Diese merkwürdigen Trancezustände – die haben doch aufgehört, oder nicht?«
    Ja, dachte ich, zumindest solange Caspar von Kranichstein ihr nicht zu nahe gekommen ist.
    »Du musst mich nicht mehr davon überzeugen, dass wir hierbleiben sollen«, murmelte ich. »Das ist doch nun bereits entschieden. Ich tu’s Aurora zuliebe.«
    Nele schüttelte den Kopf. »Das genügt nicht, Sophie. Du weißt, ich fahre morgen weg, ich kann dir erst mal

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