Der Kuss des Zeitreisenden (German Edition)
nicht zuerst geschossen hätte?
Vermutlich würden sie sterben. Erfrieren.
Sie hatte gehört, dass das keine unangenehme Todesart war. Als ihre Körpertemperatur sank, fühlte sie sich benommen.
Zu ihrer Überraschung kehrte Lyle mit Laken zurück, und er und Gray wickelten eines um sie und George. »D… danke.« In Wahrheit half es nicht viel. Ihre Fingerspitzen waren bereits taub. Und ihre Zehen ebenso.
Als Lyle und Gray weitere Laken um sich selbst wickelten, wusste sie, dass ihnen nur noch wenige Minuten blieben, bis sie erfroren waren. »Kuschelt euch aneinander«, befahl sie. »Wir m… müssen die Körperwärme miteinander teilen.«
Die drei schwebten Schulter an Schulter in der Luft, aber ohne Schwerkraft trieben sie immer wieder auseinander.
»Das funktioniert nicht«, sagte Gray.
»In Ordnung.« Vivianne musste jetzt etwas unternehmen. »S… stellt die Energie wieder an.«
Gray und Lyle glitten zum Kontrollbord hinüber. Grays Finger waren von der Kälte so taub, dass beide Männer gebraucht wurden, um die Energie wieder anzustellen.
»F… fertig.« Gray bewegte sich ganz langsam. »Soll zuerst die Heizung oder das Kommunikationssystem gespeist werden?«
Vivianne setzte sich den Kopfhörer mit dem angeschlossenen Mikrofon auf.
Wärme wäre etwas Wunderbares gewesen. Aber Vivianne wusste, dass es Stunden dauerte, bis die Temperatur wieder stieg, und sie musste zuerst noch etwas anderes erledigen. »Tennison, Sean, Bericht an die Brücke.« Sie stülpte sich den eisig kalten Kopfhörer über die halb erfrorenen Ohren. »Gray, alle Energie auf meine Station.«
»F… fertig.«
Lyle schwebte bereits bewusstlos in der Luft. Vivianne hoffte, dass sie nicht zu lange gewartet hatte. Ihre Wimpern waren schwer. Aber wenn sie jetzt einschlief, würde sie nie wieder erwachen. »Ihr b… bringt uns um. Wir haben keine Wärme. Die brauchen wir aber zum Leben. Wenn ihr weiterhin unsere Energie absaugt, werden wir sterben. Als ihr uns umzingelt habt, hat ein Mitglied meiner Mannschaft Panik bekommen und geschossen. Wir hoffen, dass ihr keine Todesfälle zu beklagen habt, aber wenn es doch so sein sollte, dann biete ich euch mein Leben als Gegengabe an. Es gibt keinen Grund, andere bei uns an Bord zu töten, denn jeder ist völlig unschuldig. Ich wiederhole, ihr bringt alle auf unserem Schiff in Lebensgefahr. Wenn wir unsere Energie nicht sofort zurückerhalten, werden wir sterben. Wir sind euch ausgeliefert.«
Gray taumelte gegen eine Wand. Vivianne schwankte. Diese Bitte war ihre letzte Chance. Hatte sie überhaupt jemand gehört? Wenn ja, würde es eine Auswirkung haben? Während ihr die Kälte bis in die Knochen drang, trieben ihre Gedanken davon.
Zu Jordan.
Wo zum Teufel steckte er bloß?
9
Einige von uns sehen zu den Sternen auf .
Die Herrin vom See
»Wach auf.« Jordan hatte zahlreiche Decken auf Vivianne gelegt, doch als die Heizung der Draco angesprungen war, war ihr Fleisch auch weiterhin kalt geblieben. Daher war er selbst unter die Decken gekrochen und hatte sie mit seinem Körper gewärmt. Er war zwar in Schweiß ausgebrochen, doch sie war blass und leblos geblieben.
Wenigstens atmete sie. Aber ihr Puls ging schwach.
Doch trotz ihrer Schwäche drangen Viviannes Gedanken plötzlich in Jordans Kopf, und er befand sich wieder mitten in einer ihrer Erinnerungen.
Nun war Vi etwa fünfzehn Jahre alt. Sie hatte schon so lange keine gute Mahlzeit mehr gehabt, dass ihre Hände zitterten.
Aber die kleineren Kinder litten noch mehr. Dieses Pflegeheim war das schlimmste, in dem sie je gewesen war. Um den Kühlschrank war eine Kette geschlungen, und die Speisekammer war abgeschlossen, damit sich keines der Kinder etwas zu essen holen konnte. Sie alle waren bleich, hohläugig und mager.
»Haven, du passt auf«, sagte Vivianne zu dem zweitältesten Mädchen. »Sag sofort Bescheid, wenn jemand nach Hause kommt.«
Haven schob einen Bücherschrank zum Garagenfenster und kletterte hinauf. »Die Luft ist rein.«
»James«, sagte Vivianne zu einem kleinen Jungen, »hör endlich auf zu weinen.« Sie nahm ein Federmesser aus ihrer Tasche. »Bald werden wir alle etwas zu essen haben.«
Sie führte das Messer in das Schloss ein. Drehte es darin um. Aber das Schloss sprang nicht auf.
Vis leibliche Eltern hätten das nicht Stehlen genannt. Der Staat zahlte für ihre Ernährung. Doch die geldgierigen Leute, die eigentlich für sie sorgen sollten, gaben ihnen nie genug.
Inzwischen
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