Der Kuss Im Kristall
Alethea.
Die kristallenen Lüster, das wunderbare Orchester, die Diener, die sich mit Tabletts voll Rumpunsch durch die strahlende Menge bewegten – das alles verlor an Bedeutung. Es kann nicht wahr sein!
„Sind Sie ganz sicher, Lady Sarah?“, wiederholte Alethea zum dritten Mal. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie presste die Hände auf den Bauch, als hätte ihr jemand einen Fausthieb versetzt. „Ihr Lehrer für das Pianoforte?“
„Liebe Güte, Alethea! So etwas missverstehe ich doch nicht! Miss Barlow sagte den Thayer-Zwillingen, du hättest ihr geraten, mit ihm durchzubrennen, und du weißt, dass Hortense und Harriet noch nie ein Geheimnis für sich behalten konnten. Jetzt spricht der ganze ton über nichts anderes mehr“, fügte sie leise hinzu.
Alethea versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sie die Tarotkarten für Miss Barlow gelesen hatte. „Ich kann mich nicht erinnern, was ich gesagt habe.“ Sie blickte sich im Ballsaal der Woodlakes um und rechnete beinahe damit, Beatrice Barlow irgendwo auf der Tanzfläche zu entdecken. „Sie wollte mir nichts über die Einzelheiten ihres Dilemmas anvertrauen. Daher riet ich ihr, ihrem eigenen Urteil und ihrem Herz zu folgen, und dass nur sie allein wüsste, was ihr wirklich wichtig ist. Eben das Übliche.“
„Nun, sie hat deinen Rat sehr ernst genommen, meine Liebe!“, flüsterte Annica. „Und jetzt ist die Hölle los. Kannst du dir das vorstellen? Bebe Barlow brennt mit ihrem Pianofortelehrer durch. Und dies nach einer Sitzung bei dir.“
„Verflixt! Ich hätte ahnen müssen, dass etwas nicht stimmt, als sie so aufgeregt wurde, nachdem sie die Liebenden und die Kutsche gesehen hatte. Jetzt weiß der Himmel allein, wo sie sich aufhält, ob sie in Gefahr schwebt …“
„Oh, ich denke, das können wir erraten“, meinte Grace. „Sie wird auf halbem Wege nach Gretna Green und zu einem Pfarrer sein. Und ich wette, dass es höchstens ihre Tugend ist, die in Gefahr schwebt. Dennoch gibt es noch jemanden, der dir Vorwürfe machen könnte, Alethea.“
„Wer?“
Lady Sarah hob ihren Fächer, damit niemand ihr die Worte von den Lippen ablesen konnte. „Robert McHugh, Lord Glenross. Ich nehme an, du kennst den Namen.“
„Lord Glenross.“ Alethea sprach ganz langsam, und eine dunkle Vorahnung überkam sie. Hatte sie nicht schon genug Schwierigkeiten? „Aber warum sollte es ihn interessieren, was Miss Barlow tut?“
„Weil er seinen Bruder liebt“, erwiderte Sarah.
Alethea runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“
„Sein Bruder, Douglas McHugh, war mit Bebe verlobt“, erklärte ihr Sarah. „Im Januar sollte die Hochzeit sein.“
„Ein McHugh war mit Bebe verlobt? Mit der oberflächlichen, sprunghaften Bebe?“
„Seltsam, nicht wahr?“, stimmte Grace zu. „Und dennoch nur ein weiterer Beweis dafür, dass Liebe blind macht.“
„Und noch ein weiteres Verbrechen, das auf meinem Namen lastet“, murmelte Alethea und schaute Sarah fragend an. „Trotzdem, wie kann er mir Böses wollen?“
„Er erträgt es nicht, wenn jemand seiner Familie Schaden zufügt. Die Ehre der Schotten, du weißt schon. Abgesehen davon ist da noch Maeve. Und er hält Zoe für eine Schwindlerin. Er hasst Schwindeleien und kennt keine Gnade, wenn jemand nicht aufrichtig ist.“
Alethea wurde ein wenig unwohl zumute. Jetzt begriff sie, warum er sich im Salon ihrer Tante so seltsam benommen hatte. „Ich – ich vermute, er ist sehr wütend?“
„Das wäre eine Untertreibung“, meinte Sarah. „Ich habe ihn noch nie so – so außer sich erlebt. Und ich bin sicher, mit ihrem Vater und Douglas McHugh verhält es sich ebenso. Aber dies ist etwas anderes.“ Sarah wandte sich ab und vermied es, Alethea ins Gesicht zu sehen. „Nachdem er seine Frau und seinen Erben verloren hat, ist Rob McHugh wenig mehr geblieben als sein Vermögen und sein Stolz. Er hat erklärt, dass er nicht mehr heiraten wird, dass Douglas’ Kinder seine Erben sein würden. Das ist ihm sehr wichtig, und dein Rat an Bebe hat diese Tür zugeschlagen und die McHughs der Lächerlichkeit preisgegeben. Das wird er nicht verzeihen.“
Liebe Güte! Die anderen hatten recht! Sie sollte sofort aufhören, die Zukunft vorherzusagen. Aber ihr blieb keine Wahl. Es waren nur noch elf Tage, und sie benötigte jeden einzelnen davon. Bestimmt würde der Schurke bis dahin auftauchen. In der Zwischenzeit würde sie Glenross aus dem Wege gehen.
„Die McHughs sind gnadenlos“, bekräftigte
Weitere Kostenlose Bücher